Eigentlich wäre für Fälle wie diese das Amtsgericht im niedersächsischen Nienburg an der Weser zuständig. Sebastian Edathy wohnt im Landkreis Nienburg, in der Kreisstadt hatte er sein Wahlkreisbüro, von 1998 bis zu seinem Rücktritt am 7. Februar 2014 vertrat er den Wahlkreis Nienburg II – Schaumburg als Abgeordneter im Bundestag, sein Mandat gewann er jedes Mal direkt. Doch wegen der Bedeutung der Sache, der Schwere des Vorwurfs, der Prominenz des Angeklagten und des zu erwartenden großen Interesses der Öffentlichkeit bleibt es Sebastian Edathy erspart, ausgerechnet in seiner Heimatstadt vor Gericht stehen zu müssen. Vielmehr wird es vor dem Landgericht in Verden an der Aller zum Prozess kommen.
Am Donnerstag erhob die Staatsanwaltschaft Hannover Anklage gegen den früheren SPD-Bundestagsabgeordneten, der sich als Innen- und Rechtsexperte seiner Fraktion profiliert und parteiübergreifend Anerkennung als Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses erworben hatte. Die Ermittler werfen ihm vor, über seinen Bundestagslaptop vom 1. bis zum 10. November 2013 an sechs Tagen bei einer kanadischen Firma, die kinderpornografisches Material im Internet anbietet, Videos und Fotos heruntergeladen zu haben. Zudem soll er einen Bildband und eine CD besessen haben, deren Inhalt von der Staatsanwaltschaft als jugendpornografisch bewertet wird. Nach dem Strafgesetzbuch drohen ihm bis zu zwei Jahre Haft oder eine Geldstrafe.
Die Staatsanwaltschaft stützt sich in ihrer Anklage auf Links zu kinderpornografischen Seiten. Diese waren in einer Sicherungskopie der Daten seines Laptops aus dem Bundestag gefunden worden. Den Computer selber hatte Edathy im Februar als gestohlen gemeldet, kurz nachdem die Ermittlungsbehörden seine Büros und seine Wohnung durchsucht hatten. Insgesamt soll Edathy zwischen 2005 und 2010 mindestens 31 Videos und Fotosets gekauft haben, auf denen nackte Kinder im Alter von neun bis 14 Jahren zu sehen gewesen sein sollen. Das Landgericht Verden bestätigte den Eingang der Anklage. Es muss nun prüfen, ob es die Anklage gegen den 44-jährigen Ex-Politiker zulässt. Seit Februar ist Edathy abgetaucht. Dem Vernehmen nach soll er sich an einem unbekannten Ort im Ausland aufhalten. Lediglich über Einträge auf seiner Facebook-Seite gibt er Einblicke in sein Seelenleben.
Seit Sonntag steht dort in großen Buchstaben „Hausschlachtung“ – dem Anschein nach empfindet er das Vorgehen der Ermittlungsbehörden als „Schlachtung“. In der Vergangenheit hat er die Vorwürfe zurückgewiesen, kinderpornografisches Material beschafft zu haben. „Ich bin nicht pädophil“, sagte er dem Spiegel. Gleichzeitig warf er den Ermittlern vor, seine Immunität als Bundestagsabgeordneter missachtet und Details der Vorwürfe an die Öffentlichkeit gegeben zu haben.
Bereits vor der parlamentarischen Sommerpause konstituierte sich in Berlin auf Antrag der Grünen und der Linken ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss zum Fall Edathy. Dieser soll unter anderem klären, warum das Bundeskriminalamt die Vorwürfe gegen den SPD-Politiker nicht früher verfolgte. So erhielt das BKA bereits im Herbst 2011 eine Kundenliste des kanadischen Unternehmens, aber erst im Oktober 2013 entdeckten niedersächsische Polizisten durch Zufall den Namen Edathy.