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„Spekulationsgrundstücke sollten deutlich höher besteuert werden“
Das Gespräch führten Andrea Kümpfbeck und Gregor Peter Schmitz
 |  aktualisiert: 02.04.2019 09:46 Uhr

Frage: München boomt. Trotzdem hat man das Gefühl, dass viele Münchner Angst vor weiterem Wachstum haben. Warum?

Dieter Reiter: Viele Münchner erleben das rasante Wachstum eher negativ: die Mieten schnellen hoch, ständig stauen sich die Autos, es gibt Tausende von Baustellen in der Stadt. Und unser öffentlicher Nahverkehr kommt an die Grenzen der Belastbarkeit.

Ihr Wahlkampf-Slogan lautete „Damit München München bleibt“. Klingt etwas provinziell.

Reiter: Mir ging es bei dem Satz um etwas ganz anderes. Nämlich klarzumachen: Wir dürfen keine Stadt werden, die sich nur noch Reiche leisten können.

Angesichts der Münchner Immobilien-und Mietpreise ist das doch faktisch schon so.

Reiter: Wir Politiker müssen dafür sorgen, dass Mieterinnen und Mieter, die teilweise schon seit ihrer Geburt in München leben, sich auch in zehn Jahren ihre Miete noch leisten können. Und wir müssen auch weiterhin bauen, gerade als Stadt. Denn den öffentlich geförderten Wohnraum, den wir brauchen, schaffen private Investoren kaum.

Da haben Sie ja jetzt einen Verbündeten in der Bayerischen Staatskanzlei. Der neue Ministerpräsident Markus Söder will auch viel mehr bauen . . .

Reiter: Das begrüße ich grundsätzlich durchaus. Aber: Wir müssen in ganz anderen Dimensionen denken. Wenn in München pro Jahr 2000 öffentlich geförderte Wohnungen gebaut werden und Herr Söder jetzt für ganz Bayern 4000 verspricht, kann man an diesem Vergleich schon erkennen, dass der Freistaat sich hier deutlich mehr vornehmen muss. Immerhin hat die neue Bundesregierung entdeckt, dass Wohnungsbau nicht nur Aufgabe der Kommunen ist, und sich im Koalitionsvertrag dazu bekannt. Die Bundesländer, die diese Aufgabe im Rahmen der Föderalismusreform vor zehn Jahren übertragen bekommen haben, haben ihre Hausaufgaben schlicht nicht gemacht.

Ist irgendwo auch mal eine Grenze erreicht für Mietsteigerungen in München?

Reiter: Schwer zu sagen. Es gibt Grundstücke in unserer Stadt, die haben binnen weniger Jahre ihren Wert verdreifacht. Auf so teurem Boden entsteht aber natürlich kein bezahlbarer Wohnraum.

Deswegen denken Sie gemeinsam mit Ihrem Vorgänger Hans-Jochen Vogel ja über eine Bodenreform nach. Klingt irgendwie nach Enteignung.

Reiter: Lesen Sie mal die bayerische Verfassung. In ihr steht, dass ein leistungsloser Vermögenszuwachs durch Bodenwertsteigerungen der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen ist. Und auch im Grundgesetz ist im Artikel 14 von Sozialbindung des Eigentums die Rede. Um eines deutlich zu machen: Ich habe hohen Respekt vor Privateigentum und denke nicht, dass sich der Staat Eigentum – etwa durch Enteignung – einverleiben sollte. Trotzdem plädiere ich für eine Sozialbindung, etwa wenn Spekulanten Grundstücke kaufen und diese unbebaut lassen, bis sie noch mehr wert sind.

Also wollen Sie eine Spekulationssteuer?

Reiter: Brachflächen als reine Spekulationsgrundstücke sollten deutlich höher besteuert werden. Aber eins muss jedem auch klar sein: So entsteht immer noch keine einzige Wohnung.

Es gibt doch einen Mietspiegel …

Reiter: Aber dessen aktuelle Systematik ist eine Katastrophe. Wenn man nur die Neuvermietungen und Erhöhungen der letzten vier Jahre als Grundlage nimmt, gibt es für die Mieten nur eine Richtung – nach oben. Man müsste die Bestandsmieten mit aufnehmen, dann würde der Mietspiegel ganz anders aussehen. Aber das blockiert die Union bislang, weil ihr die Rechte der Eigentümer wichtiger sind als die der Mieter.

Auch sonst sind Sie mit der CDU-Bundeskanzlerin ja nicht so zufrieden. Im Diesel-Streit werfen Sie ihr Einknicken gegenüber der Autolobby vor.

Reiter: Beim Diesel-Thema versteckt sich Frau Merkel. Wir – die Oberbürgermeister aller großen Städte – waren für Februar zu einem neuen Diesel-Gipfel mit ihr verabredet. Aber ich habe immer noch keine Einladung aus dem Kanzleramt bekommen.

Warum schneidet Sie die Kanzlerin?

Reiter: Ich glaube, dass ihr das Thema höchst unangenehm ist. Denn wir hatten vereinbart, dass beim nächsten Diesel-Gipfel die Automobilindustrie dabei sein muss. Das will Frau Merkel aber offenbar nun doch nicht. Wir Städte haben das Problem – und die Kanzlerin, die es lösen kann, hält sich bedeckt.

Würde ein Fahrverbot in Innenstädten die Schadstoffproblematik denn lösen?

Reiter: Das versteht doch jeder Grundschüler: Wenn weniger Autos fahren, wird weniger Stickoxid ausgestoßen.

Aber einführen wollen Sie trotzdem keins.

Reiter: Auf keinen Fall pauschale Fahrverbote. Das sagen wir Oberbürgermeister seit einem Jahr. Es gibt ja auch noch andere Maßnahmen.

Was ist also die Lösung des Diesel-Dilemmas?

Reiter: Eine flächendeckende Umrüstung aller Dieselfahrzeuge, die neuer sind als Euro 4. Das muss aber die Kanzlerin anschieben, denn die Autokonzerne machen das nicht im Alleingang.

Dieter Reiter, 59, ist seit vier Jahren Oberbürgermeister von München. Der SPD-Politiker, der in Rain am Lech geboren ist, war zuvor Leiter des Wirtschaftsreferats der Landeshauptstadt.

 
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