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BERLIN
SPD: Über Große Koalition reden
Von unserem Korrespondenten Rudi Wais
 |  aktualisiert: 11.12.2019 19:46 Uhr

Wie Christoph Matschie denken im Moment nicht viele in der SPD. Der Landesvorsitzende aus Thüringen, im Hauptberuf Kultusminister in einer Großen Koalition, will nicht die Basis über den Eintritt in ein Bündnis mit der Union abstimmen lassen, sondern die Delegierten des nächsten Parteitages. „Unsere Gremien sind demokratisch gewählt und die Richtigen, um das zu entscheiden“, sagt der 52-Jährige. Wer die Koalitionsfrage den Mitgliedern stelle, handle „nicht besonders selbstbewusst“.

Vor dem Parteikonvent gestern Abend in Berlin ist Matschie der einzige Genosse von Rang, der sich öffentlich gegen den von Parteichef Sigmar Gabriel vorgeschlagenen Weg aus der Entscheidungsfalle ausspricht. Der Rest der Partei denkt offenbar wie der frühere Generalsekretär Hubertus Heil: „In der SPD läuft das nicht par Ordre de Mufti und schon gar nicht par Ordre de Mutti. Deshalb wird am Ende ein Mitgliedervotum stehen.“

Sollten die Genossen sich dabei für eine Große Koalition entscheiden, wird Peer Steinbrück sie nur noch als einfacher Abgeordneter unterstützen. Er strebe kein Amt mehr an, weder in der Partei noch in der Bundestagsfraktion, sagt er zu Beginn des Konvents. Teilnehmer der nicht öffentlichen Runde kolportieren den Satz „meine Karriere wird ein geordnetes Ende finden“ nach draußen. Auch die jüngsten Spekulationen, der frühere Finanzminister könnte auf den Fraktionsvorsitz schielen, haben sich damit erledigt.

Zwei Stunden später ist die Marschroute für die nächsten Wochen klar: Wie am Nachmittag schon der Parteivorstand, billigt auch der Parteikonvent mit großer Mehrheit Gabriels Vorschlag: Bei einem ersten Sondierungsgespräch mit der Union soll die SPD-Spitze ausloten, ob die Schnittmengen für eine Koalition groß genug sind. Falls ja, würden die 200 Delegierten des Konvents Gabriel die Prokura für das Führen von Koalitionsverhandlungen erteilen. Deren Ergebnis soll dann der Basis zur Entscheidung vorgelegt werden. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, vor knapp zwei Jahren selbst per Urwahl zum Spitzenkandidaten seiner Landespartei gekürt, schätzt vor allem die „befriedende Wirkung“, die ein solcher Entscheid habe: „Wir müssen das allergrößte Interesse darauf richten, dass die Partei am Ende dieses überaus schwierigen Willensbildungsprozesses geschlossen ist.“

Bisher hat die SPD ihre Mitglieder erst einmal über eine mögliche Koalition entscheiden lassen – 1995 plädierten die Genossen in Bremen nach der Bürgschaftswahl mit hauchdünner Mehrheit gegen eine rot-grüne Landesregierung und für ein Bündnis mit der Union. Zwei Jahre zuvor hatte die Bundespartei in einem ähnlichen Verfahren den damaligen Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, Rudolf Scharping, als neuen Vorsitzenden auserkoren, Gerhard Schröder und Heidemarie Wieczorek zogen den Kürzeren.

Diesmal könnte die Parteibasis, wenn auch unfreiwillig, ebenfalls eine Entscheidung über den Parteivorsitz treffen: In dem Moment, in dem die 470 000 Mitglieder sich mehrheitlich gegen eine Koalition mit CDU und CSU aussprechen, dürften die Tage von Sigmar Gabriel an der Spitze der Partei gezählt sein. Und wenn dann womöglich noch einmal neu gewählt würde, müssten die Sozialdemokraten überdies noch mit einer saftigen Watschn des Wählers rechnen, der ja nichts lieber will als eine Große Koalition.

Geklärt werden soll die neue K-Frage, die nach der Großen Koalition, bis zum 14. November. An diesem Tag beginnt in Leipzig der SPD-Parteitag.

Sollte Gabriel mit seiner Strategie scheitern, müsste dort vermutlich ein weitgehend neues Parteipräsidium gewählt werden. Umgekehrt wäre Gabriel mit einem positiven Mitgliedervotum im Rücken der neue starke Mann der Sozialdemokratie, er könnte als Vizekanzler ins Kabinett gehen und bei der nächsten Bundestagswahl selbst als Kanzlerkandidat antreten.

 
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