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SPD hat viel Luft nach oben
reda
 |  aktualisiert: 11.12.2019 19:10 Uhr

In Behnitz ist normalerweise nicht besonders viel los. Vielleicht ist das Dorf im brandenburgischen Havelland gerade deshalb der ideale Ort, um sich zu besinnen. Genau das versucht die SPD-Spitze. Vorstand, Bundesminister und Ministerpräsidenten treffen sich im „Landhotel Borsig“ dabei. Die zweitägige Klausur dient auch der Sinn- und Rezeptsuche. Denn die Sozialdemokraten sind nervös und auch ein bisschen ratlos, warum in Umfragen bisher so gar nicht honoriert wird, dass man doch große Wahlversprechen, wie Mindestlohn oder Rentengeschenke, eingelöst hat. Aber da sind eben auch dunkle Schatten wie die Edathy-Affäre, die die Glaubwürdigkeit der Partei erschüttert, weil die sich bisher nur bedingt aufklärungsbereit zeigt.

Sisyphos aus Goslar

SPD-Chef Sigmar Gabriel mutet an wie der Sisyphos aus Goslar. Der Vizekanzler ist oft Alleinunterhalter, weil andere kaum in Erscheinung treten. Von seinen sechs Stellvertretern verschafft sich meist nur Ralf Stegner Gehör. Generalsekretärin Yasmin Fahimi warnt aber vor Hektik. „Bei aller Schnelllebigkeit unserer Zeit sind wir nicht gut beraten, wenn wir uns von den demoskopischen Umfragen tagespolitisch treiben lassen.“ Vertrauen stärke man, indem die SPD klaren Kurs halte.

Doch der ist vielen Bürgern von der Steuer- über die Rüstungs- bis hin zur Freihandelspolitik nicht klar. Und intern wächst der Frust. Dabei hatte es zunächst viel Lob dafür gegeben, wie Gabriel die Genossen in die Große Koalition gelotst und was er der Union abgetrotzt hatte. Er mache einen fantastischen Job, hieß es. Jetzt ist man wieder in der Lästerphase: Er entscheide zu viel aus dem Bauch heraus.

Chlorhühnchen-Angst

Die Vermögenssteuer – ein Lieblingsprojekt der SPD-Linken – erklärte er für tot. Beim Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA warnt er seine SPD vor Chlorhühnchen-Angst und Blockade. Jüngste Aufreger: das Pegida-Thema. Gabriels Besuch bei einer Pegida-Diskussion in Dresden sei nicht wirklich abgesprochen gewesen, heißt es. Und etwas schräg fand man in der SPD auch seine Aussage in einem Interview, dass Pegida offensichtlich zu Deutschland gehöre. „Es gibt ein demokratisches Recht darauf, rechts zu sein oder deutschnational“, meinte er, „sogar ein Recht, Dummheiten zu verbreiten wie die angebliche Islamisierung Deutschlands.“

Der Bundeswirtschaftsminister hat nicht mehr viel Zeit, sein Image so zu drehen, dass die Bürger einen Kanzlerkandidaten Gabriel für eine echte Alternative zu Angela Merkel halten. Das größte Problem: Seit Jahren ist das Profil der Partei diffus. Mal wird linke Politik gemacht, mal heißt es: mehr Wirtschaft.

Vordenker fehlen

Die Debatten wirken oft oberflächlicher als früher, auch fehlen der SPD Vordenker wie Peter Glotz. Bis heute seien zudem die Gründe für die 25,7 Prozent bei der Wahl 2013 und die Schlüsse daraus kaum richtig aufgearbeitet worden, wird intern kritisiert. Das neue Zauberwort lautet nun „Arbeitende Mitte“ – bei den 30- bis 50-Jährigen, der „Gehetzten Generation“, hat die Partei viel Zustimmung verloren. Nun wird über neue Teilzeitmodelle für Väter und Mütter sowie bessere Kinderbetreuungsangebote nachgedacht. „Für diese Fragen richten wir ein weiteres Themenlabor ein, das Familienministerin Manuela Schwesig leiten wird“, sagt Fahimi.

Bisher hat Gabriel seine Partei im Griff. Er kann rhetorisch mitreißen und hat ein Gespür für die Sorgen der Bürger. Aber der Druck auf ihn wächst. Er, der immer noch zwischen seinem Heimatort Goslar und Berlin pendelt, läuft Gefahr, sich zu viel aufzuhalsen. Damit wächst die Gefahr von Fehlern.

Völliger Gegenentwurf

Ein völliger Gegenentwurf zu ihm ist sein Vize Olaf Scholz, so etwas wie der Preuße der SPD: Kopfpolitiker, unaufgeregt, strategisch, verschwiegen. Trotz Wahlkampfs reist Hamburgs Erster Bürgermeister zur Parteiklausur ins Havelland. Sogar Kanzlerin Merkel von der CDU schätzt seine Zuverlässigkeit, etwa bei der Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen. In einer Woche wird er Gabriel den wohl schönsten Wahlsonntag seit langem bescheren. Holt er gar wieder die absolute Mehrheit, wird er aber garantiert auch nach einer Kanzlerkandidatur gefragt werden.

 
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