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BERLIN
Sozialhilfe für EU-Bürger erst nach einem Jahr?
Martin Ferber
Martin Ferber
 |  aktualisiert: 11.12.2019 18:57 Uhr

Horst Seehofer ist begeistert. Die Forderung des britischen Premiers David Cameron, die Sozialsysteme innerhalb der EU so zu reformieren, dass sie keine Anziehungskraft auf Zuwanderer ausüben, sei „CSU pur“, jubelte der CSU-Chef nach dem Auftritt des Londoner Regierungschefs auf der Klausurtagung der CSU-Landesgruppe in Wildbad Kreuth. Camerons Vorstellung: Vier Jahre sollten EU-Bürger, die in einem anderen Mitgliedsland leben, dort gearbeitet und Steuern bezahlt haben, ehe sie Anspruch auf Sozialleistungen haben.

Die CSU plädiert in einem in Kreuth verabschiedeten Positionspapier dafür, dass EU-Ausländer erst nach einem Jahr Anspruch auf Hartz IV in Deutschland haben. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel stellte sich ausdrücklich hinter die Position der bayerischen Schwesterpartei. Es sei richtig, darüber nachzudenken, ob jemand ohne Arbeit in Deutschland bereits Anspruch auf Sozialhilfe habe, sagte sie in Berlin nach einem Gespräch mit dem rumänischen Ministerpräsidenten Dacian Ciolos. Arbeitskräfte aus Rumänien seien willkommen. „Aber wenn es um den Bezug von Sozialleistungen geht, die nicht auf Arbeit beruhen, bin auch ich der Meinung, dass es zumutbar ist, wieder in sein Heimatland zurückzugehen.“

In Deutschland beziehen derzeit rund 420 000 Bürger aus anderen EU-Mitgliedsstaaten Hartz IV, darunter rund 112 000 Menschen aus Bulgarien und Rumänien, den mit Abstand ärmsten Ländern in der EU. Und ihre Zahl wächst. Von September 2014 bis September 2015 stieg nach Zahlen des bei der Nürnberger Bundesagentur für Arbeit angesiedelten Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung der Anteil der Bulgaren und Rumänen, die auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen sind, von 14,1 auf 17,2 Prozent. In Großbritannien haben rund 200 000 EU-Bürger Anspruch auf Sozialleistungen.

Das Problem: Der Regelsatz für die Sozialhilfe in Deutschland liegt seit Jahresbeginn bei 404 Euro für einen Erwachsenen, der durchschnittliche Bruttomonatsverdienst in Bulgarien beläuft sich hingegen auf knapp 350 Euro, über die Hälfte der Bevölkerung lebt von weniger als 100 Euro im Monat. Eine vierköpfige Familie mit zwei minderjährigen Kindern erhält in Deutschland rund 1200 Euro, zudem kommt der Staat für die Kosten der Unterkunft auf.

Die Rechtslage ist umstritten. Zwar urteilte der Europäische Gerichtshof im vergangenen Sommer, dass Deutschland EU-Bürgern, die noch keinen Job haben, die Zahlung von Sozialleistungen verweigern kann. Doch das Bundessozialgericht kam im Dezember zu dem Schluss, dass EU-Bürger spätestens nach einem halben Jahr Anspruch auf Sozialhilfe haben – unabhängig davon, ob sie gearbeitet haben oder nicht. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hatte daraufhin angekündigt, ein Gesetz vorzulegen, das den Sozialhilfeanspruch von EU-Ausländern beschränkt.

Der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz, der auch stellvertretender SPD-Vorsitzender ist, schlug eine Frist von einem Jahr vor. Diese Position scheint auch in der SPD-Bundestagsfraktion mehrheitsfähig zu sein. So plädierte auch Fraktionschef Thomas Oppermann dafür, „dass es im ersten Jahr keinen Anspruch auf Sozialhilfe geben kann“.

 
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