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Sorge um die nukleare Sicherheit
Dr. Jens Schmitz
Jens Schmitz
 |  aktualisiert: 13.04.2016 03:31 Uhr

Zwei Tage dauerte der „Atomgipfel“ in Washington, an dem Delegationen aus 50 Staaten teilnahmen. Für Deutschland saß Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) mit am Tisch, Russland hatte sich den Gesprächen verweigert. Der erste von bislang vier Gipfeln zur nuklearen Sicherheit fand 2009 in Prag statt. Damals hatte US-Präsident Barack Obama das Fernziel einer atomwaffenfreien Welt ausgegeben. Diesmal ging es vor allem um zerstörerisches Atommaterial in den Händen von Terroristen oder Schurkenstaaten.

Frage: Professor Bunn, in der Abschlusserklärung zum vierten Atomsicherheitsgipfel preisen die Teilnehmer ihre Ergebnisse – wie konkret sind diese?

Matthew Bunn: Es gab substanzielle Fortschritte. Mehr als ein Dutzend Länder haben alles waffenfähige Material von ihrem Boden verbannt. Dass es in der Ukraine kein Bombenmaterial mehr gab, als die Kämpfe begannen, gehört zu diesen Erfolgen. Eine Reihe Länder haben die Sicherheitsbestimmungen für nukleares und radiologisches Material erhöht. Diesmal haben wir es endlich geschafft, die Zusatzerklärung zur Konvention über den physischen Schutz von Kernmaterial und Atomeinrichtungen in Kraft zu setzen.

Außerdem ist China einer der wichtigeren Initiativen aus dem Jahr 2014 beigetreten. Sie verpflichtet die 37 teilnehmenden Staaten, die Empfehlungen der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) umzusetzen und gegenseitige Kontrollen zuzulassen.

Was hat nicht geklappt?

Bunn: Wir haben immer noch keine weltweit gültige Regel, wie Sicherheitsmaßnahmen für Atomwaffen oder das Material dafür aussehen müssen. Es gibt immer noch Staaten, die die Vorgeschichte von Angestellten nicht überprüfen, bevor sie ihnen Zugang gestatten, die vor manchen Einrichtungen keine bewaffneten Wachen haben. Es gibt immer noch Inventarsysteme, die nicht registrieren, wenn jemand über einen längeren Zeitraum kleine Mengen stiehlt. Und auch beim radiologischen Material gibt es noch einiges zu tun.

Zum Beispiel?

Bunn: Wir brauchen dringend ein Programm, das die Situation weltweit verbessert. Das geht oft mit niedrigem Aufwand: Geräte im Krankenhaus so umkonstruieren, dass es Stunden dauert, das Material ohne Spezialwerkzeug auszubauen. Sicherheitskameras, die direkt mit der örtlichen Polizei verbunden sind. Erforschung und Einsatz alternativer Technologien, die gefährliche Materialien überflüssig machen.

In Ihrer Studie schreiben Sie, die nukleare Sicherheit habe sich weltweit erhöht, aber auch die Fähigkeiten von Terroristen hätten zugenommen. Wo stehen wir heute?

Bunn: In den vergangenen beiden Jahren haben sich unsere Fortschritte verlangsamt. Einerseits sind viele der einfacheren Schritte schon erledigt. Andererseits ist die Kooperation zwischen Russland und den USA fast zum Stillstand gekommen. In der gleichen Zeit sind die Fähigkeiten von Terrorgruppen dramatisch gewachsen. Unterm Strich ist die Wahrscheinlichkeit eines nuklearen Terrorangriffs deshalb möglicherweise heute höher als vor zwei Jahren.

Wie problematisch ist Russlands Weigerung, an diesem letzten Gipfel teilzunehmen?

Bunn: Ich denke, das war ein Fehler; sie isolieren sich nur selbst. Der größere Fehler war aber, dass sie Ende 2014 den größten Teil der US-russischen Zusammenarbeit beim Thema nukleare Sicherheit eingestellt haben. Es ist wichtig, nach Wegen zu einer Wiederaufnahme zu suchen. Ich war vor einem Monat in Moskau, um daran zu arbeiten.

US-Präsident Barack Obama hat die Zahl der nuklearen Sprengköpfe seines Landes reduziert, will den Rest aber wie Russland modernisieren. Kritiker sehen darin den Auftakt zu einem neuen Wettrüsten.

Bunn: Natürlich denkt nie jemand, dass er ein neues Wettrüsten beginnt. Und fairerweise muss man eben dazusagen, dass es nicht um mehr Waffen geht, sondern um eine Modernisierung derjenigen, die es schon gibt. Sie werden auf alten Entwürfen basieren, mit bescheidenen Verbesserungen, aber sie werden auf neuen Raketen und an neuen Flugzeugen sitzen. Es entbehrt natürlich nicht einer gewissen Ironie, dass der Präsident, der für seine erhebende Abrüstungsrhetorik den Friedensnobelpreis erhielt, derselbe ist, der ein Eine-Billion-Dollar-Programm vorgelegt hat, um unser komplettes Atomarsenal zu überholen.

Wäre das vermeidbar gewesen?

Bunn: Ich bin absolut der Meinung, dass wir ein kleineres und billigeres Programm haben sollten, um unsere atomaren Bestände zu unterhalten. Aber unterhalten werden müssen sie nun mal, bis wir eines Tages gemeinsam mit der Welt so weit sind, dass wir sie auf einen sehr niedrigen Level herunterfahren können oder Kernwaffen möglicherweise sogar ganz verbieten.

Mehr atomare Sicherheit war ein Kernanliegen zu Beginn von Obamas Präsidentschaft. Sie glauben, dass seine Gipfel etwas bewirkt haben?

Bunn: Auf jeden Fall. Sie haben die internationale Debatte über nukleare Sicherheit verändert. Die terroristische Bedrohung wird heute sehr viel klarer erkannt. Das Thema wurde von der Ebene der Bürokratie auf die Ebene von Präsidenten und Premierministern gehoben.

Die Reihe ist jetzt zu Ende, so wie bald auch Obamas Präsidentschaft. Sehen Sie Kontinuität gewährleistet?

Bunn: Eines der wichtigen Ergebnisse dieses Gipfels ist die sogenannte Kontaktgruppe. Eine Gruppe von Staaten ist übereingekommen, sich am Rande von IAEO-Konferenzen weiterhin auf der Ebene leitender Regierungsmitglieder zu treffen. Wie gut das funktioniert, wird man erst sehen müssen. Ich war etwas enttäuscht von den sogenannten Aktionsplänen für fünf internationale Organisationen: sehr, sehr bescheiden; keine spezifischen, neuen Initiativen, um diese Organisationen zu stärken. Die müssen aber einen Großteil der Lücke füllen, die die Gipfel hinterlassen. Wenn man an diesen Themen nicht kontinuierlich weiterarbeitet, fällt man zurück.

Matthew Bunn

Der Wissenschaftler lehrt an der John F. Kennedy School of Government der Eliteuniversität Harvard in Cambridge im US-Bundesstaat Massachusetts. Er ist auf den Kampf gegen Proliferation und Diebstahl von atomwaffenfähigem Material spezialisiert und hat an der Beseitigung ehemals sowjetischen Nuklearmaterials mitgewirkt. Matthew Bunn ist Vorstandsmitglied der US-amerikanischen Arms Control Association und Co-Autor einer aktuellen Studie des Belfer Center for Science and International Affairs in Harvard: „Preventing Nuclear Terrorism: Continuous Improvement or Dangerous Decline?“ („Nuklearterrorismus verhindern: Beständige Verbesserung oder gefährlicher Rückschritt?“) jsz/Foto: Martha Stewart

 
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