Das Tagesgericht im Abgeordneten-Restaurant des Bundestags heißt Fish and Chips, und auch unter der Reichstagskuppel geht es am Mittwochmittag britisch zu. Zum ersten Mal stellt sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) einer neuen Form der Regierungsbefragung – Vorbild sind die berüchtigten Prime Minister?s Questions im britischen Unterhaus.
Sollte Merkel aufgeregt sein, verbirgt sie es perfekt, allenfalls die Art, wie sie ihr Manuskript immer wieder wie ein Schutzschild vor den Oberkörper im knallroten Blazer hält, könnte auf ein wenig Nervosität hindeuten. Spontaneität, so heißt es ja gemeinhin, liegt ihr nicht, und was in der kommenden Stunde auf sie zukommt, kann sie allenfalls ahnen. Merkel weiß, wie sehr die britischen Premiers die Fragestunden in den Houses of Parliament in London fürchten, weil alle Themen erlaubt sind und die Opposition das gerne zur Generalabrechnung nutzt.
Vorbild Großbritannien
Nicht selten ist die Stimmung aufgeheizt wie zwischen konkurrierenden Fußballfans im Pub. Immerhin bietet das Spektakel hohen Unterhaltungswert, wovon das bisherige Format der „Befragung der Bundesregierung“ meilenweit entfernt war – denn da beantworteten „nur“ Minister oder Staatssekretäre die Fragen der Abgeordneten, die Hauptthemen gab zudem die Regierung vor.
In den Koalitionsverhandlungen hatte sich die Union dem Druck der SPD beugen müssen – dreimal im Jahr muss Merkel nun jeweils eine Stunde lang dem Bundestag Rede und Antwort stehen. Jede Frage und jede Antwort soll nicht länger als eine Minute dauern, kontrolliert mittels einer Ampelanzeige.
Anfangen aber darf die Kanzlerin zu einem selbst gewählten Thema, und zur Premiere spricht sie über den bevorstehenden G7-Gipfel in Kanada. Als sie anfängt, schlendert der AfD-Fraktionschef demonstrativ gelangweilt zu seinem Platz, von der Kanzlerin aus gesehen ganz rechts außen. Merkel würdigt ihn keines Blickes und spricht davon, dass es in der G7-Runde auch um die Verteidigung der Demokratie gehe. Gegenüber US-Präsident Donald Trump wolle sie auf eine Rücknahme der Zölle für Alu und Stahl drängen und sich für eine Fortsetzung des Iran-Abkommens einsetzen.
Auf weltpolitischem Terrain ist Merkel sicher und so kontert sie den ersten Angriff der AfD, die als größte Oppositionspartei mit der Befragung beginnen darf, gelassen. Der AfD-Abgeordnete Hansjörg Müller kritisiert die deutsche Russlandpolitik und will wissen, wie lange Merkel den „destruktiven, US-hörigen deutschen Sonderkurs“ fortsetzen wolle. Merkel wendet sich Müller zu, spricht ihn an mit „Herr Kollege“ und sagt, ihm dürfte ihr Besuch in Russland nicht entgangen sein. Sie setze auf Dialog mit Moskau.
Als Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble nach rund einer halben Stunde den Fragenblock zum G7-Gipfel beendet und zu allgemeinen Fragen überleitet, steht erneut der AfD der erste Aufschlag zu. Und der Abgeordnete Gottfried Curio setzt zur erwarteten Generalabrechnung mit der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin an. Merkel habe aus den Mitarbeitern des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge „Marionetten einer Durchwinkkultur“ gemacht. Ohne Not habe Merkel eine „Migrantenflut“ losgetreten und durch den „Import von Islamisten, Vergewaltigern, Mördern, Messerstechern und Terroristen viel menschliches Leid verursacht“. Wenig überraschend lautet Curios abschließende Frage: „Wann treten Sie zurück?“
So etwas musste Merkel erwartet haben. Gelassen und sachlich spricht sie von der „außergewöhnlichen humanitären Krise“ des Jahres 2015, die zu einer Ausnahmesituation geführt habe. Seitdem habe sich viel verändert, auch dank der Mehrheit der Bamf-Mitarbeiter. Ähnlich verbindlich und routiniert, ohne sich auch nur einen Moment aus der Ruhe bringen zu lassen, geht sie auch mit weiteren Attacken um – die nicht nur von der AfD kommen.
Merkel und die Männer
Die Linkspartei etwa nutzt die Gelegenheit zur Kritik an den Verteidigungsausgaben, den gestiegenen Mietpreisen und der hohen Zahl an Leiharbeitern und prekär Beschäftigten. Merkel verweist auf sozialpolitische Erfolge.
Die Fragen aus der Union dürfte Merkel wohl schon vorher gekannt haben, so verkündet sie etwa, dass es aus ihrer Sicht keinen Grund gebe, weiter auf Abschiebungen nach Afghanistan zu verzichten. Auch vom störrischen Koalitionspartner SPD kommen eher Steilvorlagen. Karamba Diaby fragt nach dem Stand der Dinge beim Einwanderungsgesetz, Merkel verspricht, dieses werde nicht auf die lange Bank geschoben.
Mit ihrer Antwort auf eine Frage der Grünen nach dem gesunkenen Frauenanteil im Parlament sorgt Merkel sogar für Heiterkeit: „Ich bedaure den Rückgang des Frauenanteils, ich glaube, die Männer bedauern das auch.“
Nach einer guten Stunde, nach 30 Fragen und 30 Antworten, ist die Premiere zu Ende. „Schade“, sagt eine erleichterte Kanzlerin. „Aber ich komme ja wieder.“