Landeslisten der Parteien bei Bundestagswahlen könnten bald der Vergangenheit angehören. Wenn es nach dem Chef des Wirtschaftsflügels von CDU und CSU geht, würden künftig auf allen Stimmzetteln in ganz Deutschland die selben Spitzenkandidaten stehen. Um die weitere Aufblähung des Bundestags zu verhindern, soll künftig über Bundeslisten gewählt werden. Das sagte der CDU-Abgeordnete Christian von Stetten unserer Redaktion.
Derzeit lasse er die Verfassungsmäßigkeit der Einführung solcher Bundeslisten prüfen. Auch kürzlich vorgelegte Vorschläge der Opposition für eine Begrenzung der ausufernden Zahl der Abgeordneten müsse die Regierung nun ernsthaft diskutieren.
Mehr als 800 Mitglieder?
Von Stetten ist der Vorsitzende des einflussreichen Parlamentskreises Mittelstand (PKM) in der Union. Er setzt sich seit Jahren für eine Wahlrechtsreform ein. Denn der Bundestag wird immer größer. Vorgesehen sind eigentlich 598 Abgeordnete, je zur Hälfte Wahlkreisgewinner und Kandidaten, die über die Landeslisten einziehen.
Doch aktuell hat das Parlament bereits 709 Mitglieder, mehr als in allen anderen westlichen Demokratien. Und in der nächsten Legislaturperiode könnte die Zahl der Abgeordneten sogar auf über 800 steigen. Die Krux liegt im System von Überhang- und Ausgleichsmandaten. Hat eine Partei mehr Wahlkreise direkt gewonnen, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen, darf sie diese Sitze trotzdem behalten. Zum Ausgleich aber bekommen die anderen Parteien so viele zusätzliche Listenmandate, bis das dem Zweitstimmenanteil der Parteien entsprechende Kräfteverhältnis wieder hergestellt ist.
Kosten von rund einer Milliarde Euro im Jahr
Selbst Parteien mit Überhangmandaten aus einem Bundesland können in anderen Bundesländern Ausgleichsmandate bekommen. Die Folge: Im Bundestag wird es immer enger, die Kosten steigen, zuletzt auf rund eine Milliarde Euro im Jahr. Verfassungsrechtler sorgen sich zudem um das Ansehen der Demokratie.
Seit Jahren wird um die Reform des Wahlrechts gerungen, doch alle bisherigen Anläufe sind gescheitert. Von den Überhangmandaten profitierte bislang die Union am stärksten. Sie will sie deshalb erhalten. Kürzlich hatten Linke, Grüne und FDP vorgeschlagen, Überhangmandate zu kompensieren, indem Listenmandate der betreffenden Partei in anderen Bundesländern gestrichen werden. Gleichzeitig soll ihrer Meinung nach die Zahl der Wahlkreise von 299 auf 250 reduziert werden. Die Unionsfraktion lehnte die Vorschläge postwendend ab.
Listenmandate streichen
Christian von Stetten widerspricht nun dem eigenen Lager: „Wer tatsächlich eine Verkleinerung des Parlaments erreichen möchte, muss jetzt auf die Opposition zugehen und zumindest den ersten Vorschlag übernehmen. Er sieht vor, Überhangmandate einer Partei dadurch zu kompensieren, indem Listenmandate in selber Anzahl in anderen Bundesländern gestrichen werden.“ Auch den Sonderfall CSU will von Stetten berücksichtigen. Die bayerischen Christsozialen hatten zuletzt einen eigenen Vorschlag vorgelegt, nach dem der Bundestag auf höchstens 650 Sitze begrenzt wird. „Da die CSU nur in Bayern kandidiert, lasse ich die Verfassungsmäßigkeit von Bundeslisten prüfen. Das hätte den selben Effekt, den die Oppositionsparteien mit der Verrechnung einzelner Landeslisten zurecht einfordern.“
Mieser Eindruck bei der Bevölkerung
Die Bundesliste der CSU würde demnach nur in Bayern antreten, die Bundesliste der CDU in den übrigen 15 Ländern und die der anderen Parteien in ganz Deutschland. In der Theorie sind sich praktisch alle Parteien längst einig, dass der Bundestag nicht weiter anwachsen darf. Auch Verfassungsrechtler mahnen seit Jahren zur Reform.
In der Bevölkerung wächst der Eindruck, dass es den Politikern zuallererst um den eigenen Vorteil geht. Eines ist ja klar: Wenn das Wahlrechtsgesetz von 2013 geändert würde, säßen viele der heutigen Abgeordneten künftig nicht mehr im Bundestag, verlören Macht und Einfluss. Gleiches gilt für die Parteien. Welche Fraktion wünscht sich schon weniger Mitglieder? Ob sich CDU-Mann von Stetten mit seinem neuen Vorstoß durchsetzen kann, wird sich zeigen. Doch die verfahrene Debatte um die Wahlrechtsreform kommt nun wieder in Gang.
Schwieriger Kompromiss
Darüber dürfte sich auch Bundestagsvize Thomas Oppermann (SPD) freuen. Der hatte kürzlich eine schnelle Einigung angemahnt und bezweifelt, dass ein Bundestag mit 800 Abgeordneten „noch die Kraft hätte, eine Verkleinerung herbeizuführen“.
Einfach wird ein Kompromiss nicht. Denn eine Reduzierung der Anzahl der direkt gewählten Wahlkreisabgeordneten zugunsten einer höheren Zahl von Parteilistenabgeordneten lehnt auch von Stetten weiter vehement ab: „Ich bin mir sicher, dass meine Partei diesen zweiten Oppositionsvorschlag verhindern wird.“