zurück
BRÜSSEL
So lähmt Deutschland die EU
Detlef Drewes
Detlef Drewes
 |  aktualisiert: 30.11.2017 03:30 Uhr

Zwei Tage nach den geplatzten Jamaika-Sondierungen für ein deutsches Regierungsbündnis hat sich die EU von dem Schock wieder erholt. „Europa wird nicht pausieren“, gab sich Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am optimistisch. Er werde die Reformen der Union vorantreiben. Das ist allerdings leichter gesagt als getan. Denn in der Praxis dürfte die deutsche Stimme auf europäischer Ebene deutlich zurückhaltender ausfallen, obwohl die amtierende Kanzlerin Angela Merkel eigentlich schalten und walten könnte wie bisher auch.

„Eine geschäftsführende Bundesregierung besitzt dieselben Befugnisse wie eine richtige Regierung“, sagte Matthias Kullas vom Centrum für europäische Politik in Freiburg und wissenschaftlicher Mitarbeiter dieser Redaktion. „Es ist jedoch gängige Praxis, dass eine geschäftsführende Regierung diese Möglichkeiten nicht nutzt“, fügt er hinzu. „Weitreichende Entscheidungen, die eine zukünftige Regierung binden würden, werden in der Regel nicht gefasst.“

Schon beim Herbstgipfel der Staats- und Regierungschefs hat Kanzlerin Angela Merkel ihre Kollegen um Rücksicht auf die deutschen Koalitionsverhandlungen gebeten. „Die Verhandlungen über die Zukunft Europas sind verschoben“, meint auch EU-Experte Guntram Wolff. Das lähmt die EU in einer entscheidenden Phase. In den nächsten Wochen stehen wichtige Gipfeltreffen zunächst mit den osteuropäischen Partnern und anschließend mit Afrika an – ein Lieblingsthema Merkels.

Reform der Eurozone

Im Dezember wollten die 28 Staats- und Regierungschefs der EU den Fahrplan für die Reform der Eurozone voranbringen. Dabei geht es um grundlegende Akzente von einem eigenen Budget bis hin zu einem hauptamtlichen Euro-Finanzminister. Bisher war ein eigener Euro-Gipfel nach den Gesprächen im Kreis der 28 Staatenlenker geplant. Nun werden bereits Spekulationen laut, diese Begegnung der Währungsunion abzusagen, da die deutsche Regierungschefin sicherlich keine Zusagen machen kann.

Außerdem wollten die 28 EU-Chefs entscheiden, ob die Fortschritte beim Brexit weit genug gereift sind, um in die Phase zwei, der Gestaltung der künftigen Beziehungen, einzutreten. Ohne deutsche Stimme mit Gewicht und vor allem Mandat des Bundestages dürfte dies kaum möglich sein.

Doch den eigentlichen Schaden durch eine späte Regierungsbildung in Berlin sehen Beobachter noch an anderer Stelle. Schon jetzt sei es für Deutschland schwierig, „ohne Gesichtsverlust die Reformvorschläge des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron länger zu ignorieren“, betont der außenpolitische Experte der christdemokratischen EVP-Mehrheitsfraktion Elmar Brok. Mehr noch: Wenn die Bundesrepublik als Motor der Entwicklung ausfällt, werden andere nach vorne drängen.

Macron und Juncker haben bereits ihre Idee für eine zukünftige EU präsentiert. Weitere dürften folgen und das von Berlin hinterlassene Machtvakuum ausnutzen.

Eine längere, gar monatelange Regierungskrise im größten und wichtigsten EU-Land würde, so wird in Brüssel spekuliert, die Gemeinschaft nicht nur lähmen, sondern ausgerechnet umstrittenen Staatsführern wie Donald Trump, Wladimir Putin oder Recep Tayyip Erdogan das Feld überlassen, denen eine gelähmte Union nichts entgegenzusetzen hat.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Detlef Drewes
Bundeskanzlerin Angela Merkel
CDU
Deutscher Bundestag
Donald Trump
Elmar Brok
Emmanuel Macron
Eurozone
Jean-Claude Juncker
Recep Tayyip Erdogan
Regierungseinrichtungen der Bundesrepublik Deutschland
Wladimir Wladimirowitsch Putin
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen