
Berlin/Moskau Russlands Außenminister Sergej Lawrow gilt unter Diplomaten als „harter Hund“. Er kann sehr charmant sein, bleibt aber unnachgiebig, wenn es um die Verteidigung der Interessen Russlands geht. Da verwundert es nicht, dass er sich im „Fall Lisa“ selbst von einem geharnischten Rüffel des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier nicht beeindrucken lässt.
Am Donnerstag hielt sich Lawrow in Aschgabat auf, der Hauptstadt Turkmenistans. Aber auch dort ließ es sich der treue Diener von Russlands Präsident Wladimir Putin nicht nehmen, im Fall des 13-jährigen russlanddeutschen Mädchens aus Berlin nachzulegen. Wobei er eine verräterische Formulierung fallen ließ: „Unsere deutschen Freunde kommentieren – wesentlich häufiger als wir – verschiedene Aspekte des gesellschaftlichen Lebens in Russland, und das nicht nur auf dem Gebiet der Menschenrechte ...“ Es geht also auch aus Lawrows Sicht keinesfalls nur darum, dass Russland eine Fürsorgepflicht für mit dem Land verbundene Menschen wahrnimmt, sondern auch um die Meinungshoheit in einer Propaganda-Schlacht. Und in der ist Russland zuletzt in die Defensive geraten.
Im Westen stehen Kremlchef Putin und sein Regime seit langem am Pranger. Die völkerrechtswidrige Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim hat zu Wirtschaftssanktionen des Westens geführt, die kürzlich abermals verlängert wurden. Auch die Ermordung kritischer Journalisten und Politiker, die Diskreditierung von Organisationen der Zivilgesellschaft sowie die Missachtung des Demonstrationsrechts werden im Westen immer wieder thematisiert. Kürzlich hat der Untersuchungsbericht eines britischen Richters im Fall Alexander Litwinenko Moskau schwer belastet: Putin persönlich, so heißt es dort, habe „wahrscheinlich“ die Ermordung des nach London übergelaufenen Ex-KGB-Spions mit dem radioaktiven Gift Polonium gebilligt. In diesem für Russland misslichen Umfeld bot der „Fall Lisa“ Lawrow eine willkommene Gelegenheit zum Entlastungsangriff. Dass er sich bei der Attacke auf Mutmaßungen und Halbwahrheiten stützen musste, schien ihn nicht zu stören. Scheinheilig mahnte er die Bundesregierung: „Ich hoffe, dass diese Migrationsprobleme nicht zum Versuch führen, die Wirklichkeit aus irgendwelchen innenpolitischen Gründen politisch korrekt zu übermalen, das wäre falsch.“
Rechtsstaatliches Verfahren
In dem Fall, der bei den Russlanddeutschen in der Bundesrepublik stark beachtet wird und bereits zu Demonstrationen geführt hat, ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft. Dies entspricht dem rechtsstaatlichen Verfahren. Bekannt wurde bisher, dass die 13-Jährige einvernehmliche sexuelle Kontakte mit zwei Männern hatte, was für die Männer strafbar ist, und danach 30 Stunden lang verschwunden war. Das Mädchen hat dafür keine eindeutige Erklärung gegeben. Gerüchte über eine angebliche Massenvergewaltigung durch Migranten dementierte die Polizei. Lawrow tat aber so, als wisse er mehr: „Es ist klar, dass das Mädchen sicher nicht freiwillig für 30 Stunden verschwand“, sagte er. Steinmeier konterte, Lawrow solle sich besser auf den Stand der Ermittlungen beziehen als auf spekulative Medienberichte. Der Fall der 13-Jährigen biete keinen Grund und keine Rechtfertigung für „politische Propaganda“.
Doch Experten sind davon überzeugt, dass es genau darum geht. Der Journalist Boris Reitschuster, der lange in Moskau gearbeitet hat, schrieb gestern auf Facebook: „Ich habe Hinweise aus Moskau, sehr konkrete, dass es Pläne gibt, wie man weiter die Situation in Deutschland destabilisieren will, Pläne einschließlich konkreter Gewalt, das macht mir große Sorgen.“ Im Hintergrund stehe die Absicht, Bundeskanzlerin Angela Merkel zu stürzen, „weil sie entscheidend ist für die Sanktionen gegen Russland“.
Die Propaganda-Maschine war zuletzt im Ukraine-Konflikt heißgelaufen: Die nächtliche Flucht von Staatspräsident Viktor Janukowitsch aus Kiew wurde zu einem „Putsch“ seiner Gegner unter Anleitung der USA umgedeutet. Putin selbst behauptete, auf Soldaten ohne Erkennungszeichen auf der Krim angesprochen, Uniformen könne man „in jedem Laden kaufen“. Später ehrte er die Einheiten, die verdeckt operiert hatten. Die Annexion der Krim gilt heute als Musterbeispiel für einen „hybriden Krieg“, der sowohl in der Realität als auch mittels gezielter Desinformation in den Medien geführt wird.
Propaganda mit Kindern zu machen, ist im übrigen für Moskau nicht neu. Vor wenigen Jahren stand der Kreml am Pranger, weil Sergej Magnitzki, ein für US-Firmen tätiger Russe, möglichweise als Folge von Folter in einem Moskauer Gefängnis gestorben war. Die USA verhängten Einreiseverbote gegen russische Spitzenbeamte. Im Gegenzug griff Moskau den Fall Dima Jakowlew auf. Der kleine Bub aus Russland, den Amerikaner adoptiert hatten, wurde von seinem Stiefvater eines Tages im Auto vergessen und erstickte. Das russische Parlament beschloss darauf ein Gesetz, das US-Bürgern die Adoption russischer Kinder verbot. Der im Fall Magnitzki angeklagte Gefängnismitarbeiter aber wurde freigesprochen.