Wenn es um Wahlkampfauftritte türkischer Spitzenpolitiker in Österreich geht, kennt die Große Koalition in Wien kein Pardon. Während Deutschland über die Provokationen aus Ankara streitet, wollen die Nachbarn solche Auftritte grundsätzlich verbieten. Bundeskanzler Christian Kern forderte ein gemeinsames Vorgehen aller EU-Mitgliedstaaten. Die Reaktion folgte prompt. Ein Abgeordneter der türkischen Regierungspartei AKP beleidigte den SPÖ-Politiker via Twitter mit den Worten: „Die beste Antwort darauf: Verpiss dich.“
Die Diskussionen in Deutschland verfolgen viele Österreicher erstaunt. Die vergleichsweise moderaten Reaktionen aus Berlin bezeichnen politische Beobachter als „zahnlose Empörung“. Die türkische Seite hat den Ton weiter verschärft. Außenminister Mevlüt Cavusoglu, dessen Auftritt in Hamburg aus Brandschutzgründen abgesagt worden war, bezeichnete Deutschland als „total repressives System“. Er behauptete, Besitzer von Veranstaltungsräumen würden „bedroht“, um Auftritte türkischer Politiker zu verhindern. „Mich kann niemand aufhalten. Wir finden schon einen Versammlungsort“, sagte Cavusoglu trotzig und verlegte seine Rede am Dienstagabend kurzerhand in die Residenz des türkischen Generalkonsuls in Hamburg.
In Österreich wäre er kaum fündig geworden. Außenminister Sebastian Kurz von der Konservativen ÖVP hat sich wie der Koalitionspartner für ein klares Verbot von Wahlkampfauftritten türkischer Politiker ausgesprochen. Den Weg über die EU, den Kanzler Kern vorgeschlagen hatte, hält er aber für zu umständlich. Für Kurz ist klar: Österreich muss schnell und alleine handeln. Der Außenminister ist überzeugt, dass derartige Kundgebungen und Reden die Integration der Türken in Österreich erschweren.
In der nächsten Woche will die Große Koalition in Wien darüber beraten, wie ein Verbot juristisch korrekt aussehen kann, ohne den Grundsatz der Rede- und Demonstrationsfreiheit in Frage zu stellen. Innenminister Wolfgang Sobotka gab bereits eine Hinweis darauf, wie es funktionieren könnte: Ein zusätzlicher Passus im Versammlungsgesetz könne als Grundlage des Verbotes im Falle einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und inneren Sicherheit dienen, sagte der Konservative.
In Wien denkt man noch mit Schrecken zurück an das Jahr 2014. Damals war es mitten in der Hauptstadt auf dem Stephansplatz zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Türken und Kurden gekommen. Auch nach dem gescheiterten Putsch gegen Erdogan im Sommer kam es zu Ausschreitungen bei Demonstrationen türkischstämmiger Österreicher.
In unserem Nachbarland leben etwa 300 000 türkischstämmige Menschen. Mindestens 116 000 haben einen türkischen Pass. Damit sind sie wahlberechtigt, wenn das Volk im April darüber abstimmt, ob die Macht des Präsidenten massiv erweitert werden soll. Die Stimmen der Auslandstürken könnten eine entscheidende Rolle spielen. Deshalb ist den Regierungspolitikern ihre „Werbetour“ durch Europa so wichtig. Und deshalb reagiert auch der Außenministers so aggressiv. Über das Vorgehen der Deutschen sagte Cavusoglu: „Alle Praktiken ähneln denen der Nazi-Zeit. Sie machen Druck, damit für die AKP ein Nein herauskommt.“ Zuvor hatte schon Präsident Erdogan mit einem Nazi-Vergleich Empörung ausgelöst.
Während Bayerns Justizminister Winfried Bausback (CSU) am Dienstag ein Einreiseverbote für Erdogan und dessen Minister forderte, wenn diese hier Wahlkampf betreiben wollen, hält sich die Bundesregierung trotz der wütenden Verbalattacken aus der Türkei weiter zurück.
Grünen-Chef Cem Özdemir hingegen konterte die Vorwürfe aus Ankara mit einer provokanten Forderung: „Wenn wir solche Auftritte (von türkischen Politikern) in Deutschland zulassen, dann sollte die türkische Regierung uns auch im Bundestagswahlkampf in der Türkei reden lassen – und dabei natürlich auch für unsere Sicherheit sorgen“, sagte Özdemir in einem Interview. Die Grünen hätten „große Bauchschmerzen bei dem Gedanken, dass türkische Regierungsvertreter hier in Deutschland für das Ende der Demokratie in der Türkei werben“, fügte der Grünen-Chef hinzu.
Die Meinung der Deutschen ist eindeutig: In einer repräsentativen Umfrage der Meinungsforscher von YouGov sagten 55 Prozent, solche Auftritte „sollten auf keinen Fall erlaubt“ sein. Weitere 22 Prozent finden zumindest, sie sollten „eher nicht“erlaubt sein. mit Informationen von dpa