Ibrahim Abou Nagie ist ein salafistischer Prediger palästinensischer Herkunft. Er ist Kopf eines islamisch-fundamentalistischen Netzwerks, das sich „Die wahre Religion“ nennt. In einem Internet-Video geht er die „zionistischen, verlogenen Medien“ in Deutschland an. Ob Salafisten Flüchtlinge rekrutieren?, fragt er in die Kamera. „Was geht euch das überhaupt an? Das sind Muslime“, sagt er. Seit 2011 organisiert Abou Nagie in mehreren europäischen Ländern die Koranverteilkampagne „Lies!“, bei der Exemplare des Koran kostenlos in Fußgängerzonen verteilt werden. Auch in Unterfranken fanden solche Aktionen statt. Sie zeigen: Die Salafistenszene ist auch in der Region aktiv.
Das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) rechnet derzeit rund 600 Personen der salafistischen Szene im Freistaat zu. „Rund 20 Prozent davon stehen der Gewaltideologie des Dschihadismus nahe“, heißt es auf Anfrage. Bayernweit gehen die Behörden von über 40 sogenannten Gefährdern aus – Menschen, denen die Polizei zutraut, dass sie auch tatsächlich einen Terrorakt begehen könnten. „Auch in Unterfranken werden Personen als Gefährder geführt“, bestätigt Polizeisprecher Michael Zimmer. Wie viele, das bleibt aus ermittlungstaktischen Gründen geheim.
Für die Überwachung dieses Personenkreises seien beim Polizeipräsidium Unterfranken Beamte des Staatsschutzes zuständig. Moscheen oder andere muslimische Einrichtungen in der Region stünden indes nicht unter besonderer Beobachtung, so Zimmer weiter. Einzelne Organisationen der unterfränkischen Szene aber haben die Ermittler sehr wohl im Blick: So sei etwa die „Islamische Jugend Aschaffenburg“ (IJA) der Polizei seit einiger Zeit bekannt. Die Gruppierung habe seit 2014 „eine zunehmende Nähe zum Salafismus erkennen lassen“, erklärt das LfV. Seit April habe sie wiederholt Salafistenprediger nach Aschaffenburg eingeladen. Zu den Vorträgen kamen laut Polizei bis zu 30 Personen.
Vor einigen Wochen tauchte im Internet zudem ein Video der IJA auf, in dem sie zur Hilfe für Flüchtlinge aufruft. Der Hintergrund: Verfassungsschützer gehen davon aus, „dass die soziale und emotionale Nähe, die durch die humanitäre Hilfe hergestellt wird, dazu genutzt werden soll, um auf dieser Basis eine integrationsfeindliche, islamistische Ideologie zu transportieren.“ Zwar habe das LfV Fälle registriert, bei denen Islamisten in Bayern den Kontakt zu Flüchtlingen gesucht haben. In Unterfranken seien solche Fälle laut Polizei „bis dato nicht bekannt“.
Bislang stellte das LfV nicht fest, dass islamistische Gruppierungen unter Flüchtlingen Zulauf fänden. Sorgen bereiten den Ermittlern allerdings die vielen jungen, unbegleiteten Flüchtlinge: Deren Bedürfnis nach sozialer Nähe könnten Islamisten ausnutzen und „eine ideologische Beeinflussung“ versuchen.
Die Einschätzung teilt Thomas Mücke vom „Violence Prevention Network“, einer Beratungsstelle gegen Extremismus, mit der auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) kooperiert. „Der Salafismus ist eine attraktive Szene für Jugendliche“, sagt er, „weil sie auf die Bedürfnisse in dieser Lebensphase eingeht.“ Auch Zahlen des Bamf scheinen das zu bestätigen. Bei der „Beratungsstelle Radikalisierung“ der Behörde gingen 2014 rund 500 Anrufe besorgter Angehöriger ein, die befürchteten, dass sich ein junger Mensch einer radikal islamistischen Gruppe zuwendet; im laufenden Jahr gab es schon 800 solcher Anrufe. Da ist es nicht überraschend, dass die „Islamische Jugend Aschaffenburg“ konkret für die Hilfe bei Aktivitäten mit Flüchtlingskindern wirbt.
Die IJA nimmt laut Verfassungsschutz auch regelmäßig an den Koranverteilkampagne von Ibrahim Abou Nagie in Aschaffenburg teil. Auch in Würzburg gab es solche Aktionen. Laut Stadtsprecher Christian Weiß wurde vor zwei Jahren von einer Privatperson aus Kitzingen ein Koran-Infostand angemeldet. Zuletzt habe es aber auch Verteilaktionen ohne Stand gegeben, die nicht genehmigungspflichtig sind.