Drei Tage lang herrschte Empörung darüber, dass Deutschland bis hinauf zur Bundesregierung möglicherweise vom US-Geheimdienst NSA bespitzelt wurde. Inzwischen heißt es, der deutsche Auslands-Geheimdienst BND habe eng mit dem US-Geheimdienst zusammengearbeitet – was nicht wirklich eine Überraschung wäre.
Aber erneut sorgt Ex-Geheimdienstler Edward Snowden – dem die Welt die Hinweise auf die Bespitzelung verdankt – mit Enthüllungen für Aufregung: Er sagt im Interview im „Spiegel“ auf die Frage, ob deutsche Behörden oder Politiker in das Überwachungssystem verwickelt seien: „Ja natürlich. Die stecken unter einer Decke mit den Deutschen, genauso wie mit den meisten anderen westlichen Staaten.“
Laut dem Snowden-Interview hat die NSA für solche Fälle vorgebaut. Sie organisiere die Zusammenarbeit so, dass Behörden anderer Länder „ihr politisches Führungspersonal vor dem 'Backlash' (Gegenreaktion) schützen“ können, falls herauskommen sollte, wie „massiv die Privatsphäre von Menschen missachtet wird“, sagt der US-Amerikaner.
Die NSA habe sogar Analyseprogramme für den Lauschangriff des BND auf ausländische Datenströme geliefert, die durch Deutschland führen. Im Fokus des BND steht unter anderem die Nahoststrecke, über die Datenpakete etwa aus Krisenregionen verlaufen.
Was an den Enthüllungen dran ist, soll Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) herausfinden, der Ende der Woche nach Washington fliegt. Bei einer CSU-Veranstaltung am Freitag in Würzburg sagte er: „Was nicht geht: Dass ausländische Nachrichtendienste auf deutschem Boden ohne unser Wissen und gegen unsere Gesetze Aktionen vollziehen.“ Mit dem Wissen der Bundesregierung schon?
Friedrich will „sehr klarmachen, dass wir es nicht akzeptieren würden, wenn wir behandelt würden wie ein nicht souveräner Staat. Auf unserem Boden sorgen wir dafür, dass unsere Gesetze eingehalten werden. Das müssen auch unsere amerikanischen Freunde akzeptieren.“
Indessen wächst in Berlin die Aufregung. Die Kanzlerin ducke sich weg, kritisiert Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin. Die SPD fordert Konsequenzen und will ein Zeugenschutzprogramm für Snowden. Ministerpräsident Horst Seehofer mahnt in Dettelbach (Lkr. Kitzingen) beim CSU-Bezirksparteitag, dass „Freunde sich nicht abhören“. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser Schnarrenberger (FDP) spricht von „Speicherwahn“. Und der Innenminister? Ist im Zwiespalt: „Die Amerikaner und wir sind auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit bei der Terrorabwehr angewiesen“, betont er. Datenschutz und Sicherheit seien wichtig. Möglicherweise gebe es ein anderes Verständnis von Datenschutz in den USA, „auch darüber müssen wir reden“.
Ganz neu ist für ihn die Furcht vor Mithörern aber nicht. Friedrich nennt den „Blackberry“ nicht beim Namen, meint ihn aber, wenn er sagt: „Ich habe als Innenminister vor drei Jahren in einem Rundschreiben meine Kabinettskollegen aufgefordert, bestimmte Produkte nicht mehr zu verwenden, von denen wir wissen, dass sie über ausländische Server geleitet werden. Unsere Diensthandys werden vom Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) gesichert.“
Die Privatsphäre der Bürger ist nicht das Einzige, was durch die Abhöraffäre in Gefahr gerät: Die Folgen für die Wirtschaft – für Patente und Kalkulationen kleiner und großer Firmen – sind unabsehbar. „Wirtschaftsspionage wäre völlig inakzeptabel“, sagt der Innenminister. Aber Unternehmen müssten mit ihren Daten sorgfältig umgehen und „wissen, dass sie nicht ihre Geschäftsgeheimnisse über E-Mail irgendwohin schicken können“.
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Asylangebote für Edward Snowden
In Lateinamerika könnte der Ex-Geheimdienstexperte Zuflucht vor der US-Justiz finden. Mit Venezuela, Nicaragua und Bolivien haben erstmals drei Staaten Edward Snowden Asyl angeboten. „Wir haben keine Angst davor, diesem Nordamerikaner Asyl zu gewähren, der von seinen eigenen Landsleuten verfolgt wird“, sagte der bolivianische Präsident Evo Morales. Vor Bolivien hatte bereits Venezuelas linkspopulistischer Staatschef Nicolás Maduro dem 30-jährigen Amerikaner Asyl angeboten. Er wolle Snowden vor der Verfolgung „durch eine der mächtigsten Regierungen der Welt“ schützen, sagte er bei einer Militärparade. Auch Nicaraguas Präsident Daniel Ortega stellte dem Whistleblower eine Aufnahme in dem mittelamerikanischen Land in Aussicht.
Nach seinen Enthüllungen über die weltweite Datenspionage der USA soll Snowden seit rund zwei Wochen auf dem Moskauer Flughafen Scheremetjewo festsitzen. Allerdings: Direktflüge aus Moskau in die möglichen Asylländer gibt es nicht. Außerdem haben die USA den Pass des 30-Jährigen annulliert. TEXT: DPA