Der Skandalprozess gegen den malaysischen Oppositionsführer Anwar Ibrahim ist am Montag überraschend mit einem Freispruch vom Vorwurf der Homosexualität zu Ende gegangen. Der Politiker, dem bereits zum zweiten Mal deswegen der Prozess gemacht worden war, kündigte sofort seinen vollen Einsatz im bevorstehenden Wahlkampf an. Sein erklärtes Ziel: die seit mehr als 50 Jahren regierende Koalition zu stürzen. Trotz Freispruchs bleibt der Vorwurf an der Koalition hängen, das Verfahren orchestriert zu haben, um Anwar politisch auszuschalten. „Das Verfahren ... war politisch motiviert und durchzogen von Unregelmäßigkeiten“, urteilte Human Rights Watch.
Richter Mohamad Zabidin sah keine ausreichenden Beweise für die Anschuldigungen von Anwars früherem Mitarbeiter Saiful Bukhari Azian. Der hatte Anwar beschuldigt, ihn in seiner Wohnung zu Sex gezwungen zu haben. Gleichgeschlechtliche Beziehungen sind in Malaysia verboten. Darauf stehen bis zu 20 Jahre Haft. „Der Freispruch war eine Überraschung“, sagte Anwar anschließend. „Der allgemeine Eindruck ist, dass das Justizsystem hier nicht fair ist.“ Tausende Anhänger jubelten Anwar vor dem Gerichtsgebäude zu.
Die Anklage erfolgte 2008 wenige Wochen nach einem spektakulären Wahlerfolg von Anwars Oppositionsbündnis. Wie zehn Jahre zuvor tauchten die Vorwürfe in einem Moment auf, in dem der Politiker die Regierung in Bedrängnis brachte. 1998 hatte Anwar der Regierungsspitze Vetternwirtschaft vorgeworfen. Damals wurde er wegen Homosexualität und Korruption verurteilt. Nach sechs Jahren Haft wurde das Urteil wegen Homosexualität wegen Unzuverlässigkeit des Zeugen aufgehoben.
Anwar blickt auf nächste Wahlen
Der prominente Blogger Anil Netto sagte: „Die Opposition profitiert von dem Urteil, weil ihre Anhänger sich gestärkt fühlen und Anwar nun Zeit hat, das Bündnis zu stärken.“ Augustine Loorthusamy, eine Aktivistin für Wahlrechtsreform, meinte, die Regierung werde versuchen, ihren ramponierten Ruf mit dem Argument aufzupolieren, dass der Freispruch die Unabhängigkeit der Justiz beweise. „Sie werden damit keinen Erfolg haben“, meinte sie ebenso wie der Politikwissenschaftler James Chin von der australischen Monash-Universität. „Wenn die Gerichte unabhängig wären, hätte dieser Prozess nie stattgefunden“, sagte Chin.
Anwar sagte nach dem Urteil: „Mein Augenmerk gilt jetzt den nächsten Wahlen.“ Die Regierung verteidigt seit Jahrzehnten ein System mit in der Verfassung verbrieften Privilegien für ethnische Malaien und Ureinwohner, zum Nachteil von teils vor mehr als 100 Jahren eingewanderten Indern und Chinesen. Anwar will das ändern. Die Wahlen müssen spätestens im Frühjahr 2013 stattfinden. Najib Razaks UMNO-Partei regiert mit Koalitionspartnern seit der Unabhängigkeit von Großbritannien 1957. Anwars Wahlerfolg 2008 versagte der Koalition erstmals seit Jahrzehnten eine Zweidrittelmehrheit.