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PARIS/TOULON
Skandal um Implantate: TÜV soll zahlen
Jean-Claude Mas
Foto: dpa | Jean-Claude Mas
Von unserer Korrespondentin BIRGIT HOLZER
 |  aktualisiert: 14.11.2013 19:33 Uhr

Bewusst hat der frühere französische Hersteller von Brustimplantaten Poly Implant Prothese (PIP) minderwertiges Silikon anstelle von medizinisch zugelassenem verwendet und gesundheitliche Probleme von Frauen in aller Welt in Kauf genommen – doch auch der TÜV Rheinland trägt Verantwortung in dem aufsehenerregenden Gesundheitsskandal. Das Handelsgericht im südfranzösischen Toulon stellte gestern fest, er habe seine „Kontroll- und Aufsichtspflicht“ verletzt und verpflichtete ihn zu Schadensersatzzahlungen. Ein Unternehmenssprecher kündigte an, in Berufung zu gehen.

Erstmals wird der TÜV Rheinland mit haftbar gemacht, nachdem in Deutschland die AOK Bayern und eine Frau mit Klagen gescheitert waren. Während die Kläger ein „mutiges Urteil“ lobten, zeigte sich TÜV-Verteidigerin Cécile Derycke „schockiert“: Es stelle ein erhebliches Risiko für den Prüfdienstleister dar.

In dem Zivilprozess hatten fast 1700 Frauen und sechs Händler Entschädigung in Höhe von insgesamt rund 53 Millionen Euro gefordert. Nach Ansicht der Richter soll jede der Klägerinnen zunächst 3000 Euro erhalten, bis ihre individuellen Untersuchungen abgeschlossen sind. Die PIP-Produkte stellten sich als übermäßig reißanfällig heraus, riefen Entzündungen hervor, teils trat Silikon aus. In vielen Ländern riefen die Behörden dazu auf, sich die PIP-Einlagen entfernen zu lassen. Weltweit wurden sie Hunderttausenden Frauen eingesetzt; in Deutschland sind es nach Schätzungen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte rund 5000.

Der 73-jährige PIP-Gründer Jean-Claude Mas und vier frühere Mitarbeiter stehen derzeit in Marseille vor Gericht wegen schwerer Täuschung und Betrugs. Die Staatsanwaltschaft fordert vier Jahre Haft für Mas und Gefängnisstrafen zwischen sechs Monaten und zwei Jahren für die anderen Angeklagten.

Wäre ein Schuldspruch am 10. Dezember, wenn das Urteil fallen soll, auch eine Genugtuung, so können die Opfer nicht mit Entschädigung rechnen. 2010 wurden PIP-Produkte vom Markt genommen, die Firma meldete Konkurs an, nachdem sie zuvor bis zu 100 000 Exemplare pro Jahr in mehr als 65 Länder verkauft hatte. In dem Strafprozess in Marseille tritt der TÜV Rheinland als Nebenkläger auf.

„Wir waren selbst Betrugsopfer“, verteidigte hingegen Anwältin Derycke den TÜV. Seine Aufgabe sei es nicht gewesen, die Produkte selbst zu kontrollieren, sondern lediglich das System zur Qualitätssicherung: „Wir sind weder eine Überwachsungsautorität noch ein Entschädigungsfonds.“ Auch die französischen Gesundheitsbehörden standen unter Druck, nachdem sie jahrelang Warnungen von Ärzten ignoriert hatten.

Jean-Claude Mas hatte nicht nur den bewussten Betrug zwischen 2001 und 2011 eingeräumt, um massive Gewinne zu machen durch die Verwendung von „hausgemachtem“ Silikon, das zehnmal billiger war als medizinisch zugelassenes – nach Schätzungen der Staatsanwaltschaft verdiente er so jährlich eine Million Euro. Sondern er und frühere Mitarbeiter gaben auch die systematische Vertuschung zu: Kündigte sich der TÜV Rheinland an, wurde das Billigsilikon in Containern versteckt, die Daten über deren Einkauf löschte man. „Jeder wusste, was zu tun war“, hatten sie ausgesagt. Unangekündigte Kontrollbesuche gab es nicht. Inzwischen hat die EU-Kommission diese vorgeschrieben.

 
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