
Wie ernst die Situation tatsächlich ist, lässt sich wohl am zuverlässigsten an der Reaktion der führenden Forscher selbst ablesen. Vor knapp drei Jahren hat die Amerikanerin Jennifer Doudna eine Methode vorgestellt, das Erbgut lebender Zellen zu verändern. Dass der Eingriff inzwischen extrem präzise vorzunehmen ist und zudem so einfach, dass sie jeder ordentlich ausgebildete Laborant fertigbringt, macht Doudna zur heißesten Kandidatin auf den nächsten Biologie-Nobelpreis. Aber die möglichen Folgen machen sie eben auch zugleich zur dringlichsten Mahnerin. Jetzt von ihr formuliert, von vielen Kollegen auf ihr Drängen hin unterschrieben und in „Science“, einem der weltweit renommiertesten Wissenschaftsmagazine, erschienen ist ein Memorandum mit dem Inhalt: Stoppt sofort alle Versuche am menschlichen Erbgut! Lasst uns vorher darüber nachdenken, was wir damit wollen, und klären, was erlaubt sein darf!
Es ist der vielleicht schon verzweifelte Versuch, den Geist, der nun offenbar aus der Flasche heraus ist, wieder einzufangen.
Das zu verstehen, bedarf es keines wissenschaftlichen Fachverstands. Denn möglich scheint plötzlich, was vor kurzem noch als ferne Vision umstritten war, wahlweise als Traum oder Albtraum beschrieben: Der Mensch kann das Leben in seinem Kern korrigieren; er kann sich zum neuen, zum besseren Schöpfer erheben – durch Eingriffe in die Keimbahnen, die jeden Menschen mit dem Beginn allen Lebens auf der Erde verbinden. Er kann entscheiden, was gut ist und also weitervererbt werden soll und was schlecht ist und also aus den Möglichkeiten zur Entwicklung des Lebens gelöscht werden soll. Er kann den Menschen züchten, ihn optimieren auf ein Bild hin, das er sich von ihm macht. Und die Werkzeuge dazu sind nun bereits in aller Welt verbreitet.
Die Forschung folgt dabei eigentlich großen, gerade von Menschlichkeit gezeichneten Träumen. Denn es geht zuallererst um Heilung. Darum also, der gerade in unseren Einzelschicksalen gnadenlos und willkürlich erscheinenden Natur etwas entgegenzusetzen. Wie es aller medizinische Fortschritt ja auch will und seit jeher tut. Und da mutet die neue Methode der Jennifer Doudna geradezu als Meisterwerk an. Denn mit ihr könnte sich die Hoffnung erfüllen, die im Jahr 2000 zu keimen begann, als der Unternehmer Craig Venter spektakulär die Entschlüsselung des menschlichen Erbguts verkündete. Etwa im Ringen gegen Alzheimer und Aids und Brustkrebs, gegen Herzinfarkte und Knochenbrüche – es soll nicht nur ein Mensch, sondern die ganze künftige Menschheit geheilt werden können. Weil Schwächen komplett aus den Möglichkeiten der Vererbung eliminiert werden. Aber die neuen Werkzeuge können auch schon jetzigen Patienten helfen, indem man sie etwa an geschädigten Blut- oder Leberzellen einsetzt.
Gewinnerwartung in den USA
Wie? Das ist für den Laien nur schwer zu verstehen. Man kann sich das ungefähr so vorstellen, dass man Bakterien durch einen ihnen eigenen Schutzmechanismus dazu nutzen kann, wie eine Schere das aus den Zellen und den Genomen herauszuschneiden, was schadet. Die Methode heißt Crispr. Und zum Anfertigen solcher Scheren benötigen Forscher nicht viel mehr als eine Art Programm, das sie sich inzwischen für 55 Dollar plus Versandkosten bei den ersten Firmen, die damit handeln, bestellen können. Aber immerhin: Rabatte sind möglich, schließlich soll jeder profitieren. Nicht nur gesundheitlich. So viel versprechende Kunde hat in den USA sofort jedenfalls eine Gewinnerwartung ausgelöst. Und Hunderte Millionen aus Stiftungsgeldern haben die Forschungen überhaupt erst ermöglicht. Ob angesichts dessen eine freiwillige Beschränkung, wie sie Jennifer Doudna und viele Kollegen fordern, überhaupt noch möglich ist? Aber warum sollte sie überhaupt nötig sein? Wo sind die Schattenseiten, wenn doch zuallererst Heilungsträume wahr werden? Es gibt grundsätzlich drei Probleme.
Das eine ist ein handwerkliches. Die Vererbung der menschlichen Anlagen nämlich läuft nicht gerade mit mathematischer Genauigkeit ab, sondern wirkt eher wie ein ständiges experimentelles Neukombinieren des Vorhandenen. So sind also auch Umprogrammierungen mit ihren genauen Auswirkungen auf das einzelne entstehende Leben kaum exakt zu bestimmen. In bereits getätigten Versuchen mit Mäusen zeigt nur einer von 20 Versuchen das gewünschte Ergebnis in Perfektion. Bei Menschen wäre wohl mindestens die gleiche Quote zu erwarten. Andererseits: Auch bei der natürlichen Fortpflanzung stirbt die deutliche Mehrzahl aller befruchteten Eizellen. Wo also ist der Unterschied, außer dass die natürliche Schöpfung ohne, die neue mit unserem Zutun abläuft?
Womit wir unmittelbar beim zweiten und sicher größten Problem sind, dem Problem, das auch Jennifer Doudna jetzt in die Offensive getrieben hat: Es ist ein moralisches. In den USA wie in vielen anderen Ländern der Welt nämlich gibt es kein Verbot solcher Forschung. Ächtungen wie etwa innerhalb der Europäischen Union als Verstoß gegen die Würde des Menschen werden jedenfalls die Fortschritte nicht verhindern (nicht von ungefähr wohl ist einer der Kollegen Doudnas ein in die USA emigrierter Spitzenforscher aus Braunschweig). Und selbst wenn sich die angesichts all der dort bereits getätigten Investitionen unrealistische Hoffnung erfüllen sollte und die US-Forscher würden sich im vorsichtigen Umgang einig (und darauf deutet wenig hin) – aus China etwa gibt es inzwischen Nachrichten, dass dort längst mit menschlichen Stammzellen gearbeitet wird. Ob es dort Bedenken gibt? Für Beschwörungen, Aufrufe zu Verboten, ja für Verbote selbst scheint es zu spät zu sein. Der Geist ist aus der Flasche. Ihn wieder einzufangen, scheint unmöglich.
Probleme in einem Graubereich
Den Möglichkeiten, ihn walten zu lassen, scheinen dagegen kaum Grenzen gesetzt zu sein. Von der Heilung bis zum Design des Menschen ist es nur kleiner Schritt. Weil beides über den gleichen Vorgang abläuft und weil manche Probleme ja in einem Graubereich dazwischen liegen. Was etwa, wenn man gegen die Mechanismen des Alterns angeht? Oder was, wenn man geistige Schädigungen künftiger Kinder verhindert – und genauso auch ihre Intelligenz durch Eingriffe optimieren kann? Wo ist die Grenze?
Ein US-Visionär, der kürzlich noch eindringlich in einem Buch (Nick Bostrom: „Superintelligenz“) vor den Gefahren gewarnt hatte, dass die Computer uns bald überlegen sein und damit unser Leben bestimmen könnten – er schwärmt jetzt davon, dass solcherlei hochgezüchtete Menschen vielleicht in der Lage wären, all unsere Probleme zu lösen: Hunger, Klimawandel? Das steigert die ja schon umstrittene Frage des nach privaten Wünschen designten Babys in die Sehnsucht nach der idealen Rasse. Und nebenan jubelt tatsächlich der Harvard-Forscher, der in seinem Versuch, über die Stammzelle eines Mammuts die ganze Spezies neu zu erschaffen, jetzt auch einen entscheidenenden Schritt weiter ist.
Und somit sind wir beim dritten Problem: Wenn das jetzt losgeht (oder bereits losgegangen ist) – wer will noch absehen, wohin das führt? Dass nun gar nicht mehr ferne Generationen das aus Stärken und Schwächen geformte Individuum nicht mehr kennen? Auch kein persönliches Schicksal mehr? Sondern nur noch ein technologisch geformtes und also auch genormtes Dasein? Das dann wer kontrolliert und reguliert? Aber genauso: eine designte, von jeder natürlichen Entwicklung abgekoppelte Umwelt? Man muss kein an Science-Fiction-Horror geschulter Hysteriker, kein an die Unantastbarkeit der göttlichen Schöpfung Gläubiger, kein demütiger Prediger der Erhabenheit der Natur sein, dass einen hier ein Frösteln ergreift.
Warum dann bislang der große Aufschrei ausgeblieben ist, wie er doch sonst auf neue Entwicklungen der Gen- und Stammzellenforschung folgte? Nutzt sich der Effekt ab? Glaubt nach der vielen Aufregung von einst inzwischen keiner mehr an die Verwirklichung der Forscherträume, die sich in allgemeine Albträume verwandeln können? Oder schwant uns in der Zukunft nicht ohnehin längst noch nur ein Ungeheuer, das es halt noch so lange wie möglich durch die Aufrechterhaltung der Gegenwart zu bannen gilt? Und wir stützen inmitten all der prophetischen Filme und Bücher dazu vorwärts auf sie zu?
Seit Jahren jedenfalls gilt als ausgemacht, dass auf die jetzige Epoche der Informationstechnologie die große Zeit der Biotechnologie folgen wird. Sie wird die das Weltbild prägende Wissenschaft sein. Wer es noch wissen will, kann nun sehen, was das heißen könnte: dass der Mensch selbst das, was ihn bislang ausgemacht hat, jetzt, wo er es kann, abschafft. Einfach weil er es kann. Wer clever ist, hat sich bereits Aktien besorgt, die den Wandel ankurbeln und im Fall seiner Erfüllung Rendite versprechen. Zu welchem Preis auch immer.