zurück
Simuliertes Leben
Tierversuchfreie Testmethoden: Ein Großteil der Tierversuche könnte durch kluge Alternativen ersetzt werden. Sie mindern nicht nur das Leiden der Tiere, in vielen Fällen liefern sie auch die besseren Prognosen, sagt der Toxikologe Marcel Leist.
Britta Buss
Britta Buss
 |  aktualisiert: 07.03.2014 21:21 Uhr

An mehr als drei Millionen Tieren wurde 2012 nach Angaben des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft wissenschaftlich geforscht. 80 Prozent dieser Versuche ließen sich streichen oder ersetzen, sagt der Toxikologe Professor Marcel Leist. Er leitet das Zentrum für Alternativmethoden zum Tierversuchersatz (CAAT-Europe) in Konstanz und hat Deutschlands einzigen Lehrstuhl für Alternativen zu Tierversuchen inne.

Frage: Welche Art von Tierversuchen könnte heute durch Alternativmethoden ersetzt werden?

Marcel Leist: Die Frage ist im Grunde falsch, weil sie bereits die Notwendigkeit der heute durchgeführten Tierversuche voraussetzt. Das ist, als würde man fragen: Welche Art von Fernsehprogrammen kann derzeit durch Alternativaktivitäten ersetzt werden? 60 Prozent der derzeitigen Tierversuche könnte man einfach bleiben lassen, ohne dass die Welt unmittelbar einen Unterschied bemerken würde. Vom Rest, denke ich, dass sich die Hälfte ersetzen lassen wird.

Wie muss die Frage also sinnvollerweise lauten?

Leist: Ob die gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitsprüfungen und Qualitätskontrollen notwendigerweise an Tieren durchgeführt werden müssen. Das ist vor allem bei Medikamenten und Medizinprodukten der Fall. Ebenso bei Industriechemikalien, Pestiziden, Kosmetika, Nahrungsmitteln und so weiter. In all diesen Fällen können die Versuche, die etwa Augen- oder Hautreizung, oder Allergieerzeugung testen, gut ersetzt werden. Auch für die Testung von beispielsweise BoTox, Fisch- und Muschelgiften oder Bakterienbelastungen gibt es Alternativmethoden – und die sind zudem alle zuverlässiger als die Tierversuche.

Warum ist es nicht gesetzlich vorgeschrieben, diese tierversuchsfreien Methoden zu nutzen?

Leist: Die meisten Experimente sind von der im Grundgesetz garantierten wissenschaftlichen Freiheit gedeckt. Es gäbe aber andere Stellschrauben und Triebkräfte: Tierversuche werden von der Wissenschaftsförderung besonders belohnt und gefördert, und sie werden stark subventioniert. Im Vergleich dazu gibt es keinerlei Initiative der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Alternativen zu schaffen und finanziell zu unterstützen.

Einige Forscher sagen, Versuche, die auf das komplexe Zusammenspiel der Zellen und Organe in einem Organismus angewiesen sind, können nicht in-vitro, also „im Reagenzglas“, simuliert werden. Die Wirksamkeit einer Anti-Hautpilzcreme könne zwar an Zellkulturen ausgelotet werden, die Frage aber, ob der Wirkstoff die Leber eines Organismus schädigt, sei damit nicht zu beantworten?

Leist: Ein gutes Beispiel, denn daran lassen sich zwei Aspekte erklären. Zum einen: Es ist gar nicht so schwierig in vitro zu testen, ob die Leber eines Organismus geschädigt würde. Wo man im Tierversuch ein Tier als Ganzes hat, verfolgt man bei in-vitro-Methoden das Prinzip von Testbatterien, in denen verschiedene Aspekte parallel getestet werden. Zum Beispiel: die Wirkung auf die Pilze in einem Modell, die mögliche Hautreizung dabei im nächsten Modell, dann die Verstoffwechselung der Substanz in menschlichen Leberzellen und weiterhin parallel, die Schädigung verschiedener Zelltypen, etwa menschliche Leberzellen in einer Zellkulturschale und in dreidimensionalen Mikrogeweben. Das ist heutzutage Industriestandard, eben weil – und da kommen wir zum zweiten Punkt, den ich erläutern wollte – der Tierversuch die Leberschädigung im Menschen auch nicht zufriedenstellend vorhersagt.

Das heißt, weder Tierversuche noch Alternativen liefern in diesem Fall wasserdichte Prognosen?

Leist: Ja, und das ist vor allem für die pharmazeutische Industrie ein riesiges Problem. Sie kämpft verzweifelt um bessere Vorhersagen von Leberschädigung. In der Regel werden hier immer Tierversuch und menschliche Zellsysteme kombiniert, also das Beste aus beiden Welten. Derzeit läuft das von EU und cosmetics Europe finanzierte SEURAT Forschungsprojekt. Dafür investieren beide Seiten insgesamt 50 Millionen Euro, um innerhalb von fünf Jahren in diesem Bereich bessere Alternativmodelle und Quellen für menschliche Leberzellen zu entwickeln. Die Industrie setzt also genau in diesem Bereich sehr stark auf Alternativen.

Sie selbst forschen auf dem Gebiet der Alzheimer-Erkrankung. Welche Fragestellungen können die Alternativmethoden in diesem Bereich beantworten? Welche nicht?

Leist: Vielen ist oft nicht klar, was Alternativmethoden sind: Sie umfassen ein Gebiet, das durch den Ausschluss von Versuchstieren definiert ist. Zu den Alternativmethoden gehört aber natürlich auch der Gebrauch menschlicher Gewebe. Nahezu alles, was wir über Alzheimer wissen, wissen wir durch Versuche mit diesen Geweben. Die Tierversuche in diesem Bereich sind eine reine Farce und man hat daraus bislang überhaupt nichts therapeutisch Nützliches gelernt. Bei diesen Versuchen werden menschliche Gene in Mäuse eingebracht, die gar keine Alzheimerkrankheit bekommen können. Anhand dieser Modelle wurde zum Beispiel die Alzheimer-Impfung entwickelt, die jetzt in klinischen Versuchen, an Patienten auf breiter Linie floppte.

Wie steht es um die Akzeptanz der tierversuchsfreien Methoden in der Forschergemeinschaft?

Leist: Die gibt es. Dennoch müsste das Bewusstsein für die wissenschaftlichen Nachteile von Tierversuchen weiter geschärft werden. Es gab in der Vergangenheit ja einige Beispiele, die zeigen, wie unzuverlässig Tierversuche sein können. Etwa bei dem Stoff Thalidomid, besser bekannt unter dem Namen Contergan, oder dem TeGenero Medikament TGN1412. Methoden mit menschlichen Zellsystemen hätten da die besseren Prognosen geliefert. Wenn man mehr auf die Gegenwart schaut, ist interessant, was sich in den USA in den vergangenen sechs Jahren getan hat. Dort sind die obersten regulatorischen Behörden und Geldgeber ganz auf Alternativmethoden eingestiegen. 2008 unterzeichneten die Direktoren der Behörden persönlich, darunter Francis Collins, bekannt als Leiter des Genomprojekts, ein Memorandum: Darin schrieben sie fest, die toxikologische Forschung ganz auf diesen Kurs umzustellen.

Es gibt die Kritik, dass hierzulande zwar die Entwicklung tierversuchsfreier Methoden gefördert werde, nicht aber ihre Marktzulassung, dabei ließe sich gerade damit viel Geld verdienen.

Leist: Richtiger ist eher, dass die Zulassung ein sehr langwieriger Prozess ist, was auch damit zu tun hat, dass nationale Alleingänge im Bereich der Toxikologie sinnlos sind. Selbst die EU ist zu klein und Richtlinien werden oft auf internationaler Ebene der OECD erlassen. Und noch etwas spielt dabei eine Rolle: Wenn eine Methode erfunden ist, muss sie zur Marktreife entwickelt und validiert werden. Aber das ist nicht wissenschaftlich spannend, denn es werden dabei ja keine neuen Erkenntnisse gewonnen, trotzdem bindet das sehr viele Ressourcen und die sind sehr schwer zu finanzieren.

Heißt das, das CAAT, arbeitet in erster Linie für die Schublade? Beziehungsweise für Firmen in den USA oder Asien, die dann mit der Markteinführung der Methoden viel Geld verdienen?

Leist: Der Großteil der Forschung findet in der Industrie und in Behörden statt. Firmen wie BASF sind da zum Beispiel hervorragend. Die akademische Forschung ist da vergleichsweise begrenzt, aber auch dort gibt es Beispiele in Deutschland, wo Methoden patentiert und wirtschaftlich weiterverfolgt wurden. Wenn man dann Partner sucht, geschieht das international. Deutschland ist da manchmal nicht schlecht, aber manches wandert auch in die USA, nach Japan oder auch nach China ab.

Zukunftsmusik: Wird man jemals komplett auf Tierversuche verzichten können?

Leist: In den nächsten 20 Jahren wird das sicher nicht so sein. Und ob uns das in 200 Jahren noch interessiert, wissen wir nicht. Niemand kann absehen, welche Probleme wir dann lösen müssen. Das Wichtigste ist aber, in die richtige Richtung zu gehen, und Raum für Einzelfallentscheidungen zu lassen. Es gibt auch heute Tierversuche, die sehr harmlos sind, und bei vernünftiger Begründung auch weiter bestehen können. Wir sollten uns darauf konzentrieren, die für Tiere belastenden Versuche zu reduzieren. Vor allem: Wir müssen Systeme finden, die für den Menschen bessere Vorhersagen bringen.

Marcel Leist

Der Toxikologe hat Deutschlands einzigen Lehrstuhl für Alternativen zu Tierversuchen inne. Der 1964 geborene Forscher studierte in Tübingen, Konstanz und Guildford (GB) Biochemie, Pharmakologie und Toxikologie. Er ist Professor an der Uni Konstanz und leitet das dortige CAAT-Europe (Center for Alternatives to Animal Testing). Er befasst sich mit Modellen, die dabei helfen sollen, Parkinson und Alzheimer zu erforschen. Zuletzt erhielt er im April 2013 den Felix-Wankel-Preis. Der Wissenschaftspreis wird durch die Ludwig-Maximilians-Universität München verliehen. Seit 1972 werden damit wissenschaftliche Arbeiten im Rahmen des Tierschutzes ausgezeichnet. FOTO: dpa

„Wir müssen Systeme finden, die für den Menschen bessere Vorhersagen bringen.“
Professor Marcel Leist, Leiter des CAAT-Europe
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Britta Buss
Alzheimer-Krankheit
BASF AG
Deutsche Forschungsgemeinschaft
Ludwig-Maximilians-Universität München
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Tierversuche
Toxikologen
Toxikologie
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen