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Sicherheitssituation in Deutschland: Ein Netz mit Lücken
Terror: Deutschland ist ein sicheres Land, aber das heißt nicht, dass es nicht noch sicherer sein könnte. Wo Polizei und Nachrichtendienste noch Probleme haben und wie die Politik darüber denkt. Eine Bestandsaufnahme.
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Foto: ODD ANDERSEN (ANP)
Rudi Wais
Rudi Wais
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:01 Uhr

Deutschland ist ein sicheres Land – aber auch das dichteste Netz hat Lücken. Die Anschläge von Paris und Brüssel, findet der frühere Innenminister Otto Schily, sollten nun auch Anlass für eine Überprüfung der deutschen Sicherheitsarchitektur sein. Sie gilt im europäischen Vergleich als gut bis sehr gut, hat aber auch ihre Schwächen. Unter anderem fehlt den Behörden das Personal, um jeden der mehr als 300 besonders gefährlichen Islamisten rund um die Uhr überwachen zu können. Eine Bestandsaufnahme.

Polizei: 2,7 Millionen Überstunden haben die Beamten der Bundespolizei inzwischen angehäuft, die meisten davon durch die Wiedereinführung von Grenzkontrollen im Sog der Flüchtlingswelle. Die Überstunden aber sind im Moment nicht das größte Problem der 40 000 Bundespolizisten. Im normalen Streifendienst, klagt der Chef der Gewerkschaft der Bundespolizei, Ernst G. Walter, seien seine Leute überhaupt nicht für Einsätze wie jetzt in Brüssel ausgerüstet. „Es grenzt an ein Selbstmordkommando“, tobt er in einem Interview mit der Welt, „wenn wir die Kolleginnen und Kollegen mit Schirmmütze, leichter Schutzweste und Pistole an die Flughäfen und Bahnhöfe schicken.

“ Während Anti-Terror-Einheiten wie die GSG 9, die neue BFE+ oder die Sondereinsatzkommandos der Länder gut aufgestellt und gut ausgerüstet sind, halten die Westen der Bundespolizisten nach Walters Worten nicht einmal eine Patrone aus einer Kalaschnikow ab.

„Es grenzt an ein

Selbstmordkommando, wenn wir Kollegen mit leichter Schutzweste an Flughäfen und Bahnhöfe schicken.“

Ernst G. Walter, Polizeigewerkschaft

Die Beamten haben keine schusssicheren Helme in ihren Einsatzfahrzeugen und Waffen aus einer Baureihe in ihren Holstern, die vor 50 Jahren auf den Markt gekommen ist. Ihre Gewerkschaft fordert nun ein Milliardenprogramm für die Innere Sicherheit.

Zugesagt hat Innenminister Thomas de Maiziere der Bundespolizei bisher lediglich 3000 neue Stellen – bis die Beamten gefunden und ausgebildet sind, werden aber noch drei Jahre vergehen. Im Moment hat die Bundespolizei schon Schwierigkeiten, den Normalbetrieb zu organisieren. Wie aus der Antwort der Regierung auf eine Anfrage der Grünen hervorgeht, waren in den vergangenen drei Monaten insgesamt 29 Reviere nicht durchgängig besetzt, vor allem an Bahnhöfen. Auch der Krankenstand steigt.

Nachrichtendienste: Nicht nur in EU-Europa arbeiten die „Schlapphüte“ bisher mehr schlecht als recht zusammen. Die Mordserie des rechtsextremistischen NSU hat auch enorme Defizite bei den Diensten in Deutschland offengelegt, wo 16 Landesämter für Verfassungsschutz, 16 Landeskriminalämter, der Bundesnachrichtendienst, das Bundeskriminalamt, das Bundesamt für Verfassungsschutz und der Militärische Abschirmdienst mehr nebeneinander als miteinander gearbeitet haben. Vor allem der Verfassungsschutz, tobte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann damals, habe „kollektiv versagt“.

Die von Union und SPD inzwischen verabredete Reform der Geheimdienste mit einer besseren Kontrolle, einer klareren Aufgabenbeschreibung und zusätzlichen Stellen liegt allerdings schon wieder auf Eis – dem Vernehmen nach hat das Kanzleramt Bedenken, die Arbeit des Bundesnachrichtendienstes könnte durch die Neuregelung zu stark eingeschränkt werden.

Unter anderem soll ein Bevollmächtigter des Bundestages den Geheimdiensten künftig genauer auf die Finger sehen, eine Zusammenlegung kleinerer Landesämter für Verfassungsschutz zu größeren und entsprechend schlagkräftigeren Einheiten wird es allerdings nicht geben.

„Bei extremen

Gefahrensituationen

muss eine Unterstützung

der Polizei durch das

Militär möglich sein.“

Florian Hahn, CSU-Sicherheitsexperte

Kritiker der Reform bemängeln überdies, sie löse das womöglich entscheidende Problem nicht: Hinweise auf drohende Anschläge und potenzielle Attentäter kämen in der Regel von befreundeten Diensten und selten von den eigenen.

Sicherheitsgesetze: Auch Vereine mit religiöser Prägung können inzwischen verboten werden, Daten zwischen den Behörden einfacher ausgetauscht und Computer leichter ausgespäht werden, es gibt eine Anti-Terror-Datei und ein Terror-Abwehrzentrum: Nach den Anschlägen vom 11. September haben Bundesregierungen unterschiedlichster Couleur die Sicherheitsgesetze immer weiter verschärft.

Erst im Dezember wurde eine Regelung um weitere fünf Jahre verlängert, nach der Banken, Fluglinien und Telekommunikationsunternehmen Daten an die Geheimdienste weiterreichen müssen. Forderungen aus der Union, die Vorratsdatenspeicherung auszuweiten oder die Werbung für terroristische Organisationen konsequenter zu ahnden, scheitern jedoch an Justizminister Heiko Maas. Das Strafrecht sei in dieser Hinsicht bereits „äußert scharf“, argumentiert er. Nach dem Willen der Union soll bei „extremen Gefahrensituationen“ wie in Brüssel auch die Bundeswehr an der Seite der Polizei eingesetzt werden können.

Die Argumente, die in der noch jungen Bundesrepublik gegen den Einsatz der Truppe im Inneren gesprochen hätten, stächen heute nicht mehr, betont der CSU-Sicherheitsexperte Florian Hahn im Gespräch mit unserer Zeitung. Er plädiert dafür, das Grundgesetz entsprechend zu ändern. Die Innere Sicherheit gegen Terroristen zu verteidigen, „ist auch Aufgabe der Bundeswehr“.

 
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