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LONDON
Sexuelle Belästigung im britischen Unterhaus
byl
 |  aktualisiert: 14.04.2014 20:58 Uhr

Großbritannien ist bekannt für das Feierabendbier, das gerne mit Kollegen in einem Pub um die Ecke getrunken wird. Nicht selten werden es in heiterer Stimmung auch mehr Schoppen. Dieser Kultur verschließen sich auch die Abgeordneten des Unterhauses nicht. Doch laut einer Reportage des britischen Senders Channel 4 nehmen diese „Saufgelage“ erschütternde Ausmaße an. So sollen junge männliche und weibliche Angestellte, sobald die Lichter im Unterhaus ausgehen, häufig Ziel unerwünschter Avancen älterer zudringlicher Herren werden.

Briten sind entsetzt

Die Briten sind entsetzt. Westminster als „Palast von Sexminster“? So legt es die Dokumentation nahe. Dafür wurden 70 Mitarbeiter des Parlaments aus allen Parteien befragt. Ein Drittel der Berater und Assistenten bestätigte, bereits mindestens einmal von einem Abgeordneten sexuell belästigt worden zu sein. Der Dokumentation zufolge seien besonders junge Männer von den Vorfällen betroffen. Keiner von ihnen sprach offen vor der Kamera – laut Sender aus Angst vor dem Verlust des Jobs oder aus Scham.

Auch wenn insgesamt 650 Abgeordnete im Unterhaus sitzen und damit deutlich mehr Angestellte haben als die befragten 70, zeichnet der Bericht ein schockierendes Bild. Es reiht sich ein in den just überstanden geglaubten Skandal um den ehemaligen Vize-Unterhausvorsitzenden Nigel Evans, der erst Ende vergangener Woche von einem Gericht freigesprochen wurde. Ihm wurden Vergewaltigung in einem Fall, zwei Sexualdelikte und sechs sexuelle Übergriffe vorgeworfen. Er hatte unter anderem in betrunkenem Zustand einen Mitarbeiter begrabscht. Im vermeintlichen Vergewaltigungsfall glaubte der Richter den Aussagen des langjährigen konservativen Parlamentariers, es habe sich um einvernehmlichen Sex zwischen dem damals 55-jährigen Evans und einem 22-jährigen Studenten gehandelt.

Diskussion um Moral

Auch wenn Evans freigesprochen wurde: Es folgte eine Diskussion um die Moral in Westminster. Die Anschuldigungen stehen im Widerspruch zu der sonst von Anstand geprägten Politik im Unterhaus. So erzählte ein Angestellter von einer politischen Veranstaltung, bei der er von einem Abgeordneten angehalten wurde, ihn nachts um ein Uhr auf die Herrentoilette zu begleiten. Auch wenn dieser abgelehnt habe, nur zwei Stunden später habe er den Politiker mit einem anderen jungen Mann in dessen Hotelzimmer verschwinden sehen.

Laut der Reportage nutzen jene Politiker ihre Macht schamlos aus, und viele der jungen Männer und Frauen hätten Angst um ihre Karriere und machten deshalb mit. Das Dilemma liegt in der Struktur der Personalverantwortung. Die von ihren Chefs belästigten Mitarbeiter können sich lediglich bei einer Person beschweren: ihrem Chef, der arbeitsrechtlich als freier Unternehmer gilt. Die Machtgefüge sind damit klar verteilt.

Verhaltenskodex

Dass die Vorwürfe aus der Channel-4-Dokumentation ernst genommen werden, zeigt sich an den Reaktionen aus dem Unterhaus. Nur wenige Stunden später verkündete dessen Sprecher John Bercow den Plan, eine Hotline einzurichten, wo Mitarbeiter Belästigungen melden können. Er bezeichnete die Übergriffe als „völlig unakzeptabel“. Auch die Konservativen unter Premierminister David Cameron sahen sich zu einer Maßnahme gezwungen und setzten einen Verhaltenskodex auf, der beschreibt, wie sich Abgeordnete zu verhalten haben, welche Rechte sie besitzen und welche Verantwortung sie als Arbeitgeber tragen. Doch der steht schon wieder in der Kritik, denn kein Politiker ist auch verpflichtet, den Regelkatalog zu unterschreiben.

 
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