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BERLIN/SCHWERIN
Sellering-Rücktritt treibt Personalkarussell in der SPD an
Sellering und Schwesig       -  Nach ihrer Wahl zur stellvertretenden Landesvorsitzenden auf dem SPD-Parteitag in Rostock vor zwei Wochen erhielt Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig von Ministerpräsident Erwin Sellering einen Blumenstrauß.
Foto: Bernd Wüstneck, dpa | Nach ihrer Wahl zur stellvertretenden Landesvorsitzenden auf dem SPD-Parteitag in Rostock vor zwei Wochen erhielt Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig von Ministerpräsident Erwin Sellering einen Blumenstrauß.
Martin Ferber
Martin Ferber
 |  aktualisiert: 09.06.2017 03:48 Uhr

Genau 209 Kilometer sind es vom Kollegiengebäude in der Schweriner Schlossstraße, wo der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern residiert, bis zum Willy-Brandt-Haus in der Berliner Wilhelmstraße, dem Sitz der SPD-Zentrale. Doch in normalen Zeiten liegen Welten zwischen den beiden Gebäuden. Was in der eher geruhsamen Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern politisch vor sich geht, wird im hektischen Berlin kaum registriert.

Doch am Dienstag war das völlig anders. Eine Personalentscheidung im fernen Schwerin löste in der drittletzten Sitzungswoche des Bundestages vor der Sommerpause und somit vor der Bundestagswahl ein politisches Beben in Berlin aus und brachte völlig überraschend das Personalkarussell in der SPD wie in der Bundesregierung zum Drehen.

Alles begann damit, dass am Morgen der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, der 67-jährige Erwin Sellering, aus heiterem Himmel seinen Rücktritt vom Amt des Regierungschefs wie des SPD-Vorsitzenden verkündete. Ein Paukenschlag, denn erst vor acht Monaten, im September vergangenen Jahres, hatte er die Landtagswahlen klar gewonnen und erneut eine Große Koalition mit der CDU gebildet. Doch die Gesundheit spielte nicht mehr mit.

Sellering erkrankt

„Bei mir ist vor einigen Tagen völlig überraschend eine Lymphdrüsen-Krebserkrankung festgestellt worden, die umgehend eine massive Therapie erfordert“, gab Sellering in einer Erklärung bekannt. Er werde deshalb nicht mehr in der Lage sein, das Amt des Ministerpräsidenten so auszufüllen, wie es objektiv notwendig sei und seinem Anspruch an sich selbst entspräche. Gleichzeitig schlug er den Gremien seiner Partei Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig als seine Nachfolgerin in beiden Ämtern vor.

Das wiederum war keine Überraschung. Die 43-jährige Sozialdemokratin, die ursprünglich aus Frankfurt/Oder kommt, aber seit vielen Jahren mit ihrem Mann und den beiden Kindern in Schwerin lebt, galt schon lange als Kronprinzessin und potenzielle Nachfolgerin Sellerings. Allgemein wurde erwartet, dass der Ministerpräsident nach der Bundestagswahl, spätestens in der Mitte der Legislaturperiode, den Platz für die stellvertretende SPD-Chefin räumt.

Nun aber wird alles viel schneller gehen. Am 1. Juli soll ein Sonderparteitag die Personalentscheidung bestätigen, danach könnte Schwesig in die noble Staatskanzlei gegenüber dem Schweriner Schloss einziehen. Bis dahin will Sellering noch im Amt bleiben.

In der SPD hatte die Diplom-Finanzwirtin und einstige Steuerfahnderin eine Blitzkarriere hingelegt: 2004 wurde sie in den Schweriner Stadtrat gewählt, 2007 übernahm sie den Fraktionsvorsitz, 2008 holte sie Erwin Sellering in sein Kabinett und machte sie mit gerade einmal 34 Jahren zur Sozial- und Gesundheitsministerin, womit sie Deutschlands jüngste Ministerin war.

Ein Jahr später stieg sie zur SPD-Vizechefin auf, 2013 zog sie schließlich als Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ins Bundeskabinett ein. Während dieser Zeit kam auch ihr zweites Kind auf die Welt, Schwesig nahm nur eine kurze Auszeit. Mit ihrer Rückkehr nach Schwerin an die Spitze der Landesregierung steigt sie auf der Karriereleiter einen Schritt weiter nach oben, kann als Ministerpräsidentin an Regierungserfahrung wie an Macht und Popularität gewinnen – und sich für weitere Spitzenämter in Stellung bringen.

Ihr Wegzug macht allerdings eine Neubesetzung im Kabinett nötig, wenn auch nur für wenige Monate. Während sich SPD-Chef Martin Schulz bei einem kurzen Auftritt am späten Vormittag im Willy-Brandt-Haus dazu nicht äußern wollte, machte in Berlin längst ein Namen die Runde: Katarina Barley, die vor zwei Jahren vom damaligen SPD-Chef Sigmar Gabriel als Generalsekretärin berufen wurde, soll das Willy-Brandt-Haus verlassen und ins Familienministerium wechseln. Damit, so war klar, schlägt die SPD zwei Fliegen mit einer Klappe: Zum einen könnte Barley, die zunehmend in der eigenen Partei als schwach kritisiert wurde, auf elegante Weise in ein hochrangiges Ministeramt weggelobt werden.

Und zum anderen könnte der neue Parteichef Martin Schulz eine Person seines Vertrauens für die heiße Phase des Wahlkampfes ins Willy-Brandt-Haus holen. Sein Name: Hubertus Heil. Für den 44-Jährigen stellvertretenden Fraktionschef und Wirtschaftsexperten ist es die Rückkehr in ein vertrautes Amt, war er doch schon von 2005 bis 2009 Generalsekretär. Ein munteres Bäumchen-wechsle-dich-Spiel in Berlin – und das alles wegen eines Rücktritts in 209 Kilometer Entfernung.

Vom Bund ins Land

Schon mehrfach wechselten Berliner Kabinettsmitglieder in die Landespolitik. Eine Auswahl: Horst Seehofer (CSU): Im Oktober 2008 wird der Landwirtschaftsminister in Bayern gebraucht. Ministerpräsident Günther Beckstein und Parteichef Erwin Huber müssen nach CSU-Dauerkrise und Wahlschlappe ihren Hut nehmen.

Ilse Aigner (CSU): Auch Seehofers Nachfolgerin in Berlin zieht es nach knapp fünf Jahren nach München, wo sie 2013 Wirtschaftsministerin wird. Olaf Scholz (SPD): In der ersten Großen Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist er bis 2009 Arbeitsminister. Im März 2011 wechselt er als Erster Bürgermeister nach Hamburg. Norbert Röttgen (CDU): In der schwarz-gelben Regierung in Berlin ist er ab 2009 Bundesumweltminister. 2012 will er in Nordrhein-Westfalen SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ablösen, was aber scheitert. Wegen eines unionsinternen Streits über seine Wahlkampfmethoden verliert er auch sein Ministeramt.

Weitere prominente Wechsler: Franz Josef Strauß (CSU, Bayern), Walter Wallmann (CDU, Hessen), Björn Engholm (SPD, Schleswig-Holstein). dpa/AZ

 
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