
Am frühen Sonntagmorgen liegt die „Costa Concordia“ sehr schräg auf den Klippen der Insel Giglio. So als würde sie schlafen. Das Meer ist blau, die Sonne geht allmählich auf und da liegt der riesige Luxusliner im zunehmenden Tageslicht, ein schwimmender Nobelort für 3216 Passagiere und 1113 Besatzungsmitglieder. Die „Costa Concordia“ ist fast in einem 90 Grad Winkel auf die Klippen gekippt. Es ist ein absurder Anblick.
Je heller die Sonne scheint, desto deutlicher sieht man von der Seeseite die Kratzspuren auf der Rückseite. Und diesen großen Felsbrocken der im Rumpf des Kreuzers steckt. Der mit Wasser vollgelaufene Luxusliner schläft nicht. Da wo er liegt, wird er bleiben, bis man sein Wrack in Stahlstücke zerschneidet.
So unbeweglich das Schiff jetzt aussieht, so ruhig es von außen wirkt, so sehr täuscht dieser Eindruck. Denn seit das Schiff an der italienischen Westküste nahe der Insel Giglio am Freitagabend gegen 21.30 Uhr einen Felsen rammte, Leck schlug, sich drehte und schließlich auf die Insel kippte, suchen Taucher und Spezialisten der italienischen Feuerwehr, der Küstenwache, der Armee nach Überlebenden in seinem Inneren.
Fünf Tote und 60 Verletzte – das ist die vorläufige Bilanz eines der schwersten Schiffsunglücke der vergangenen Jahren. Dutzene Vermisste melden italienische Medien am Sonntagnachmittag noch. 568 Deutsche sollen unter den Passagieren der „Costa Concordia“ gewesen sein. Die meisten von ihnen sind wohl wohlbehalten zurück, wie ein Sprecher der deutschen Costa-Vertretung sagte. Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes will keine Zahlen bestätigen. Aus Berlin heißt es lediglich, auch Deutsche würden noch vermisst. Wer trägt die Schuld an der Havarie der „Costa Concordia“? Was ist passiert? Für endgültige Antworten ist es zu früh. Fest steht aber für den Augenblick: Der Kapitän des Kreuzfahrtschiffes, Francesco Schettino, und sein erster Offizier wurden festgenommen. Die italienische Staatsanwaltschaft wirft Schettino mehrfache fahrlässige Tötung und massives Fehlverhalten vor. Er sei nicht auf Kurs und viel zu nah an der Insel gewesen, heißt es. Italienische Medien berichten, Schettino habe sein verunglücktes Schiff viel zu früh verlassen.
Wie viele Menschen noch in dem Schiff eingeschlossen sind, ist noch unklar. In der Nacht zum Sonntag haben die Taucher ein koreanisches Paar geborgen. Die beiden waren auf Hochzeitsreise. Später am Sonntagvormittag wird ein Besatzungsmitglied gerettet werden. Dann melden sich vier japanische Passagiere in Rom.
Wie lang ist die Liste der Vermissten? Das ist auch die meistgestellte Frage am frühen Sonntagmorgen. Ein Sprecher der Feuerwehr sagt: „Wir können nichts Genaues zu der Liste sagen. Das ist alles sehr kompliziert. Manche haben sich gerettet, haben sich aber nirgendwo registrieren lassen.“ Ob es weitere Opfer im Schiff gibt, wie lange es dauern wird, weitere Überlebende zu retten, er kann es nicht sagen. „Stellen Sie sich vor, das Schiff wäre ein Haus mit zehn Stockwerken. Die Stockwerke sind alle mit Wasser geflutet. Und dann müssen sie sich von Zimmer zu Zimmer vorarbeiten.“ Neben all den Booten der Küstenwache, der Feuerwehr, der Taucher, der Spezialisten, die in den kommenden Tagen den Treibstoff abpumpen müssen, sieht man in dem kleinen Hafen von Giglio vor allem die gelben Rettungsboote von der „Costa Concordia“.150 Personen passen auf eines. Sie sind voller Rettungswesten und aufgeplatzten Kartons mit Überlebensrationen. Bei manchen von ihnen blinken sogar die Notsignale noch.
Ina Karanbache war in einem dieser gelben Boote. Die Berlinerin wurde gerettet. Als das Unglück passierte, stand sie in der Bar auf dem 5. Deck. Am Tag danach ist sie vollkommen übernächtigt in der Schule von Porto Santo Stefano auf dem der Insel Giglio gegenüber liegenden Festland. Blass ist sie, aber heilfroh, noch am Leben zu sein. Gegen 21.30 Uhr am Freitag, so erzählt sie, hatte sie also in der Bar Kaffee mit Amaretto bestellt. „Und ich hätte gleich noch einen bestellt, wenn ich gewusst hätte, was mir und meiner 70-jährigen Mutter noch alles bevorstehen würde.“ Die 50-Jährige erzählt, dass gegen 21.30 Uhr ein Ruck durch das Schiff ging. Dann habe es eine Durchsage gegeben, auch in deutscher Sprache, niemand brauche in Panik auszubrechen. Der Schock war aber dennoch groß und es wurde nicht besser, als das Schiff zunehmend in Schieflage geriet. Es habe dann auch noch einen riesigen Lärm gegeben, als das Geschirr, es war ja Abendessenzeit, zu Bruch ging. Und dann habe es nicht mehr lange gedauert, bis die Durchsage kam, sich zu den Rettungsboten zu begeben. „Wir sind gar nicht mehr in unsere Kabine gegangen, um unsere Sachen zu holen. Mein Leben war mir wichtiger.“
Auch Peter Honvehlmann aus Oer-Erkenschwick in Nordrhein-Westfalen und seine Begleiterin waren auf der „Costa Concordia“. Er wirkt schon wieder ziemlich erholt, aber auch er sagt: „Als das Schiff in Schieflage geriet, das war nicht schön.“ Und, sagt Honvehlmann: „Die Rettungsmaßnahmen auf dem Schiff waren eine Katastrophe.“
Was genau schiefgelaufen ist, damit wird sich die Staatsanwaltschaft beschäftigen müssen. Ist der Kapitän zu nah an der Insel vorbeigefahren, um Eindruck bei den Passagieren zu schinden, wie italienische Medien spekulieren? Hat es einen Stromausfall gegeben und haben deshalb die Navigationssysteme versagt? Oder hat der Kapitän, nachdem das Schiff auf das Riff fuhr, mit einem geschickten Manöver nicht vielleicht sogar Schlimmeres verhindert? Es gibt sehr viele Versionen darüber, was in dieser Nacht alles vorgefallen ist.
Der Bürgermeister von Porto Santo Stefano, Arturi Cerulli, hat das alles erst mal für einen Scherz gehalten. Er habe des Nachts einen Anruf bekommen und es erst nicht glauben können. Dann begann er die Hilfe zu koordinieren. Die ganze Nacht über pendelten Schiffe zwischen Giglio und Porto Santo Stefano. Die Küstenanwohner kümmerten sich. Mit wem man auch spricht, den Bewohnern des Archipels sind alle zutiefst dankbar. Die Schiffbrüchigen hatten kaum noch etwas. Manche hatten nur ein Handtuch umgebunden. Wer aber festen Boden unter die Füße bekam, der fühlte sich gut aufgehoben und viele Passagiere wurden noch am Samstag in Busse gesetzt, die zum römischen Flughafen Fiumicino fuhren.
Die meisten, aber nicht alle. Am Strand von Giglio liegt ein Schuh. Ein anderer treibt neben der Mole. Die Taucher arbeiten bis zur Erschöpfung. Aber ihr Einsatz, das wissen alle hier, ist ein Kampf gegen die Zeit.
Die „Costa Concordia“ und weitere Unglücke von Kreuzfahrtschiffen
Laut den Angaben des Eigners gehört die „Costa Concordia“ zu den neuesten und größten Kreuzfahrtschiffen, die derzeit weltweit auf den Meeren unterwegs sind. Sie wurde 2006 gebaut und bietet in insgesamt 1500 Kabinen Platz für 3780 Passagiere. Betreiber der „Costa Concordia“ ist das italienische Kreuzfahrtunternehmen Costa Crociere mit Sitz in Genua. Das Schiff misst 290 Meter und ist gut 35 Meter breit. Es schafft bei 114 500 Bruttoregistertonnen eine maximale Geschwindigkeit von 23 Knoten (rund 43 Stundenkilometer). 1100 Besatzungsmitglieder kümmern sich um die Gäste. An Bord befinden sich auf 17 Decks neben fünf Restaurants auch ein Theater, ein Kino sowie Clubs und Diskotheken.
Schon mehrfach haben Unglücke auf Kreuzfahrtschiffen die Ferienfreuden der Passagiere jäh beendet, so wie jetzt auf der „Costa Concordia“ in Italien. Die schlimmste Katastrophe traf 1986 die sowjetische „Admiral Nachimow“ im Schwarzen Meer: 398 Tote. In den meisten Fällen kamen die Passagiere aber mit dem Schrecken davon. September 2011: Bei einem Brand auf dem Passagierschiff „Nordlys“ im Hafen der norwegischen Stadt lesund kommen zwei Besatzungsmitglieder ums Leben. 16 Menschen erleiden Verletzungen, darunter zwei Deutsche. Oktober 2010: Das Kreuzfahrtschiff „Costa Classica“ wird bei einer Kollision mit einem Frachter vor dem Hafen der chinesischen Metropole Shanghai beschädigt. Mindestens zehn Passagiere werden verletzt. März 2010: Im Sturm vor der spanischen Costa Brava zertrümmern acht Meter hohe Wellen Teile der Aufbauten des Kreuzfahrtschiffes „Louis Majesty“. Ein 69-jähriger Urlauber aus Nordrhein-Westfalen und ein 52 Jahre alter Italiener werden getötet, 16 weitere Passagiere verletzt. November 2007: Das Kreuzfahrtschiff „Explorer“ rammt zwischen der Südspitze Amerikas und der Antarktis einen Eisberg und schlägt Leck. Die 100 Passagiere und 54 Besatzungsmitglieder werden in Sicherheit gebracht. TEXT: dpa