Auf dem Breitscheidplatz ist längst wieder Normalität eingekehrt. Mehr als zwei Jahre nach dem Anschlag auf den dortigen Weihnachtsmarkt flanieren Touristen über den Platz, Straßenmusiker und Porträtmaler hoffen auf einen Euro, die angrenzenden Geschäfte sind voll. Die Frühlingssonne bescheint einen Ort, an dem am Abend des 19. Dezember 2016 durch den Terroristen Anis Amri elf Menschen getötet und Dutzende verletzt wurde. Amir benutzte für sein Attentat einen Lkw, dessen Fahrer er ebenfalls ermordete. Seitdem sind einige Fragen beantwortet worden und viele neue hinzugekommen. Medienberichte legten zuletzt nahe, Amri sei bei Tat von dem Tunesier Bilel Ben Ammar unterstützt worden. Bundesinnenminister Horst Seehofer allerdings wies die Theorie von den „Terror-Zwillingen“ zurück.
Der CSU-Politiker hatte am Donnerstag bei einer Pressekonferenz in seinem Ministerium eine schwierige Mission zu erfüllen. Denn es stand nicht nur der Verdacht im Raum, Amri sei von Ben Ammar unterstützt worden. Seehofer und die ihm unterstellten Behörden müssen sich auch fragen lassen, warum Ben Ammar abgeschoben wurde und nicht etwas als Zeuge in deutscher Haft verblieb. Seehofer wusste sichtlich um das Minenfeld, auf dem er sich bewegte. Steif stand er vor den Journalisten, hielt sich offensichtlich strikt an das vorbereitete Manuskript und wirkte mit seiner monotonen Stimme fast wie ein Roboter.
Abschiebung für Seehofer nachvollziehbar
Zunächst bestätigte Seehofer, was schon bekannt war: Ben Ammar ist ein gefährlicher Mensch. Den deutschen Behörden galt er als „Person mit hoher krimineller Energie“, er war als Gefährder eingestuft und hatte sich auf deutschem Boden sage und schreibe zwölf verschiedene Identitäten zugelegt, mit denen er seinen Aufenthalt gegenüber den Behörden verschleiern konnte.
Seit dem 14. Januar 2017 galt Ben Ammar als „vollziehbar ausreisepflichtig“, wie Seehofer vortrug. Am 1. Februar 2017 wurde er dann tatsächlich nach Tunesien abgeschoben. Die deutschen Behörden hatten offenbar kein Interesse, den jungen Terrorverdächtigen im Land zu halten und als Zeugen zu hören. Es habe da eine „Güterabwägung“ gegeben, sagte Seehofer. Und die sei zugunsten der Abschiebung ausgefallen, was er angesichts der Gefährlichkeit von Ben Ammar „für nachvollziehbar halte“, sagte der Innenminister.
Die Sicherheitsbehörden meinen, aus gutem Grund gehandelt zu haben: Ihren Erkenntnissen zufolge gibt es keinen einzigen Nachweis, dass Ben Amar an dem Breitscheidplatz-Attentat beteiligt war. Es gab demnach auch keine Anzeichen, dass er „zur Aufklärung des Anschlags hätte beitragen können oder wollen“. Einen angeblichen Videobeweis für eine solche Beteiligung wischte Seehofer vom Tisch. Darauf sei niemand zu erkennen. Fotos vom Anschlag hatte Ben Ammar zwar auf seinem Handy. Doch die wurden nach Seehofers Aussage nicht von dem Tunesier selbst aufgenommen, sie wurden ihm vielmehr via Facebook zugesandt.
Aufenthaltsort unbekannt
Verschiedene Medien hatten Ben Ammar in den letzten Wochen eine Kooperation mit dem marokkanischen Geheimdienst angedichtet. Seehofer zufolge liegen dem Verfassungsschutz, dem Bundesnachrichtendienst und dem Bundeskriminalamt jedoch keine Beweise für diese Annahme vor.
In einem wichtigen Punkt musste Seehofer allerdings das Unwissen der Sicherheitsbehörden eingestehen. Nein, sagte der Innenminister, er wisse nicht, wo sich Ben Ammar aufhalte. Man werde aber versuchen, es herauszukriegen.
Man kann den Ermittlern dabei nur Glück wünschen. Denn der vom Bundestag eingerichtete Untersuchungsausschuss will Ben Ammar als Zeugen hören. Sollte seine Vernehmung nur deshalb nicht zustande kommen, weil sein Aufenthalt unbekannt ist, würde das den Verschwörungstheorien von einer bewussten Verschleierung durch deutsche Behörden neuen Auftrieb geben. Und Seehofer müsste wieder von vorne anfangen.