Die österreichische Flüchtlingspolitik mit den Westbalkanstaaten erinnert an das Kaiserreich. Damals nahm Österreich eine Führungsrolle auf dem Balkan wahr. Soll diese wiederbelebt werden? Der ehemalige EU-Koordinator für Südosteuropa und österreichische Vizekanzler a. D. Erhard Busek (ÖVP) ist ein Kenner der mitteleuropäischen Geschichte und ein kluger Analytiker der aktuellen Politik. Er warnt vor einer solchen Entwicklung und ist mit Österreichs derzeitiger Politik nicht einverstanden.
Erhard Busek: Ich halte das für blühenden Unsinn. Österreich muss in dieser Situation ein Partner sein. Wenn unsere Politik anders auftritt, ist das offensichtlich diktiert von der innerösterreichischen Angst vor der Zunahme der Freiheitlichen. Die Öffentlichkeit hat das Gefühl, dass die Regierung der Situation nicht gewachsen ist.
Busek: Ganz sicher nicht. Es hilft nur, die Ursachen zu beseitigen. Das bedeutet, alle müssen sich fragen, ob sie bereit sind, mit Bodentruppen nach Syrien zu gehen. Das ist die einzige Chance. Der Waffenstillstand ist lächerlich. Libyen gerät mehr und mehr in eine ähnliche Situation. Wenn ich in die Zukunft sehe, ist mit weiteren Flüchtlingswellen aus Afrika zu rechnen, für die wir keine Strategie haben.
Busek: Dass es ein handlungsfähiges Europa gibt. Das ständige Fingerzeigen auf die europäischen Institutionen ist sinnlos. Das wahre Problem sind die Mitgliedstaaten, die nicht in der Lage sind, Einrichtungen zu schaffen, die gemeinsam agieren. So schiebt jeder das Problem auf den Nachbarn, anstatt gemeinsam verstärkte Grenzkontrollen und Flüchtlingslager zu errichten.
Busek: Es funktioniert das Gemeinsame nicht. Ich rege mich immer furchtbar darüber auf, wenn österreichische Regierungsmitglieder sagen, die EU soll . . . Da muss man nachfragen, was habt ihr denn bei eurer letzten Sitzung in Brüssel gemacht?
Busek: Wirklich wirksam werden kann die EU erst, wenn mehr Kompetenzen auf die europäische Ebene geführt werden und man schaut, wie sie am besten realisiert werden können. Sonst dividiert sich die EU auseinander und hat geringere Wirkungsmöglichkeiten. Bis dahin gibt es einige Fragen, die wir gemeinsam angehen können – zum Beispiel die Mahnung an die Amerikaner, wieso sie nur 15 000 Flüchtlinge nehmen. Sogar Kanada, ein kleineres Land, nimmt 25 000. Das ist aber auch zu wenig. Das gemeinsame Auftreten in der globalisierten Welt wäre jetzt die Aufgabe der EU.
Busek: Fairerweise muss man sagen, dass die Deutschen in der Flüchtlingsfrage am meisten gemacht haben, wenn man von Lampedusa in Italien absieht, das auch sehr viel ausgehalten hat. Aber offensichtlich haben Deutschland und Österreich sich nicht genug unterhalten. Die aggressive Meldung in den Medien ist wohl wichtiger als das Gespräch über gemeinsame Lösungen.
Busek: Die Deutschen stehen unter dem Eindruck der Seehofer?schen Sonderrolle. Das ist ein ähnliches Druckelement wie die Angst der Regierungskoalition in Österreich, durch die FPÖ ihre Mehrheit zu verlieren. Seehofer destabilisiert die deutsche Bundesregierung. Das muss man auch einmal deutlich sagen. Er profiliert sich in alter bayrischer Tradition gegen Berlin.
Busek: Es würde Sinn machen, Griechenland und der Türkei zu helfen. Aber das will bei der Türkei nur Deutschland, bei Griechenland will es offensichtlich niemand.
Busek: Mit dem Rückgriff auf die Geschichte kann man kein Problem lösen. Es muss endlich etwas geschehen.
Busek: Seitdem Viktor Orbán existiert, hat Österreich den Fehler gemacht, den entsprechenden Dialog mit Ungarn zu vermeiden. Wahrscheinlich ist es Österreich unangenehm, die nötigen Dinge auszusprechen. Früher hatten wir sogar gemeinsame Ministerratssitzungen. Das gibt es nicht mehr. Foto: dpa
Erhard Busek
Der 74-jährige ÖVP-Politiker und ehemalige österreichische Vizekanzler ist erklärter Europäer, sein Spezialgebiet Südosteuropa. Busek ist Jurist. Unter anderem war er ÖVP-Generalsekretär, Minister für Wissenschaft und Forschung und Regierungsbeauftragter für die EU-Erweiterung. Heute gehört er zum Vorstand des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa. mar