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ATHEN
Schwieriger Besuch in Athen
Die „eiserne Kanzlerin“ ist vielen Griechen verhasst. Bei ihrem Aufenthalt verband sie Verständnis mit Härte.
Von unserem Korrespondenten Gerd Höhler
 |  aktualisiert: 11.12.2019 20:07 Uhr

Der Luftwaffen-Airbus mit Angela Merkel und ihrer Delegation hatte noch nicht einmal den griechischen Luftraum erreicht, da entrollte eine Demonstrantin vor dem Parlamentsgebäude am Syntagmaplatz das erste Transparent: „Frau Merkel, get out!“ stand in dicken Lettern auf dem selbstgemalten Plakat. Aber das bekam die Kanzlerin ebenso wenig zu sehen wie die Spruchbänder der kommunistischen Partei, die zum „Volksaufstand gegen die Sparpolitik“ aufriefen.

Während sich die Demonstranten zu Zehntausenden vor den Polizeisperren drängten, mit denen das Athener Regierungsviertel abgeriegelt war, bekam die Kanzlerin auf dem Athener Flughafen Eleftherios Venizelos einen großen Bahnhof geboten: Nicht nur Regierungschef Antonis Samaras war zum Flughafen gekommen, um sie zu begrüßen. Gleich vier Kabinettsmitglieder standen Spalier. Mit dem Empfang unterstrich Samaras, welche Bedeutung er dem Besuch der Kanzlerin beimisst. Samaras wusste zwar schon vor Merkels Ankunft, dass die Kanzlerin weder Geld noch deutsche Investitionen mitbringt. Aber ihr Besuch unterstreicht: Sie will alles tun, um Griechenland in der Eurozone zu halten. Samaras wusste auch: Eine Zusage Merkels zu der von Griechenland gewünschten Streckung des Konsolidierungsprogramms konnte er von ihr nicht erwarten – allenfalls Verständnis.

Und das zeigte Merkel. Bei ihrem gemeinsamen Auftritt mit Samaras vor der Presse attestierte sie den Griechen, sie hätten bereits ein großes Stück des Weges zurückgelegt. Es gebe auf diesem harten Weg „jeden Tag Fortschritte“, lobte Merkel. „Es ist vieles geschafft“, erklärte die Kanzlerin – fügte aber auch hinzu: „Es ist noch Etliches zu tun.“ Außerdem sagte sie den Griechen weitere deutsche Mittel zu.

Politischer Flirt?

Konkret gab die Kanzlerin bekannt, dass zwei unter deutscher Betreuung stehende EU-Projekte mit einem Volumen von 30 Millionen Euro starten können. Dabei geht es um den Aufbau der regionalen Verwaltung und Verbesserungen im Gesundheitswesen. Samaras versicherte, sein Land werde die Reformzusagen und die Verpflichtungen gegenüber den Geldgebern einhalten. Das griechische Volk sei entschlossen, in der Eurozone zu bleiben. Samaras: „Alle, die darauf gewettet haben, dass Griechenland untergeht, werden diese Wette verlieren.“

Die deutsche Kanzlerin sei als Freundin Griechenlands nach Athen gekommen, unterstrich der griechische Premier. Zwischen Samaras und Merkel mag sich ein politischer Flirt anbahnen. Für viele Griechen aber bleibt die Kanzlerin ein rotes Tuch, eine Hassfigur. Sie sehen in der „eisernen Kanzlerin“ jene Frau, die Griechenland besonders harte Sparmaßnahmen diktiert. Merkel kam in ein Land, das am Boden liegt: Griechenland geht ins sechste Jahr der Rezession, seit Beginn der Krise hat das Land mehr als ein Viertel seiner Wirtschaftskraft verloren. Jeder vierte Grieche ist ohne Arbeit, unter den Jugendlichen sogar mehr als jeder Zweite. Darin liegt sozialer Sprengstoff.

Entsprechend drakonisch waren die Sicherheitsmaßnahmen. Athen befand sich im Ausnahmezustand. Die Flughafenautobahn wurde vor Merkels Ankunft komplett gesperrt, um der Wagenkolonne der Kanzlerin freie und sichere Fahrt zu gewährleisten. Im Zentrum der Viermillionenstadt waren weder Privatwagen noch öffentliche Verkehrsmittel unterwegs, die U-Bahn-Stationen blieben geschlossen. Im Regierungsviertel wurden nicht mal Fußgänger geduldet. 7000 Polizisten waren aufgeboten, um die Kanzlerin zu schützen. Solche Sicherheitsvorkehrungen gab es nicht einmal beim Besuch von US-Präsident Bill Clinton im Jahr 1999. Waren es damals die „US-Imperialisten“, gegen die sich die Wut vieler Griechen richtete, sind nun die Deutschen in der Rolle des Buhmanns. Während es beim Clinton-Besuch trotz der drakonischen Sicherheitsmaßnahmen zu schweren Ausschreitungen kam, verliefen die Demonstrationen zunächst ruhig. 40 bis 50 teils vermummte Demonstranten warfen Steine auf Polizisten. Die setzten Schlagstöcke und Blendgranaten gegen die Angreifer ein. Die Situation beruhigte sich aber nach kurzer Zeit zunächst wieder.

Am Spätnachmittag gingen Merkel und Samaras gemeinsam die wenigen Schritte von der Villa Maximos, dem Amtssitz des Regierungschefs, hinüber zum Palais des griechischen Staatspräsidenten. Der 83-jährige Karolos Papoulias verkörpert in seinem Lebenslauf wie kein anderer griechischer Politiker den Spannungsbogen der deutsch-griechischen Beziehungen.

Als 14-Jähriger schloss sich Papoulias den Partisanen an und kämpfte in den Bergen seiner nordgriechischen Heimat Epirus gegen die Nazi-Besatzer. Später studierte Papoulias Jura in Köln, fand dort während der Obristendiktatur politisches Asyl. Papoulias ist ein Freund der Deutschen. Gerade deshalb leidet er besonders unter dem Tiefpunkt, auf dem die deutsch-griechischen Beziehungen angelangt sind. Das wird Merkel gespürt haben.

Die Kanzlerin mag den Griechen mit mehr Verständnis begegnen als noch vor einigen Monaten, aber an den harten Fakten ändert dieser Besuch nichts.

Griechenland hat einen langen Weg vor sich, Athen bleibt unter Druck: Die Euro-Finanzminister lobten bei ihrem Treffen am Montagabend zwar „bedeutende Fortschritte in Griechenland“, fordern aber „weitere Anstrengungen“. Bis zum EU-Gipfel in zehn Tagen soll Griechenland jetzt endlich das neue Sparpaket schnüren sowie 89 Reformschritte umsetzen, die teils seit vielen Monaten unerledigt geblieben sind. Nur dann kann Griechenland mit der Auszahlung der nächsten Kreditrate von 31,5 Milliarden Euro rechnen. Ohne das Geld sei das Land spätestens Ende November pleite, hatte Ministerpräsident Antonis Samaras bereits vergangene Woche gewarnt. Mit Informationen von dpa

 
 
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