Bangemachen gilt doch: Schon in 15 Jahren könnten zehn statt derzeit rund acht Millionen Menschen in der Schweiz leben – und nur noch die Hälfte wären dann „gebürtige Schweizer“. Davor warnen bunte Flyer die Eidgenossen. Wer die „10-Millionen-Schweiz“ verhindern wolle, müsse bei der Parlamentswahl am Sonntag für die Schweizerische Volkspartei (SVP) stimmen.
Die holzschnittartige Wahlkampf-Rhetorik der nationalkonservativen, teils rechtspopulistischen SVP hat Wirkung: Laut Umfragen wird sie erneut stärkste politische Kraft und kann ihren Stimmenanteil ausbauen – auf fast 28 Prozent gegenüber 26,6 Prozent bei den Wahlen 2011.
Zwar hat die SVP auch andere Themen als „das Asylchaos“ im Köcher. So gehört der Kampf gegen einen angeblich drohenden „Anschluss“ an die EU zur Standardmunition von SVP-Präsident Toni Brunner. Doch ihre Erfolge führt sie selbst weitgehend auf ihre „konsequente Ausländer- und Asylpolitik“ zurück.
„Nie waren Erwartungen an einen Wahlkampf in den letzten 20 Jahren so monothematisch wie diesmal“, konstatieren die Meinungsforscher des Instituts gfs.bern. Als das drängendste Problem würden die Wähler „die Migrationsthematik“ ansehen. Abgeschlagen folgen auf der Sorgenliste das komplizierte Verhältnis zur EU sowie die Arbeitslosigkeit. Die liegt dank der international äußerst konkurrenzfähigen Schweizer Wirtschaft bei nur 3,2 Prozent.
„Das Asylthema hat eingeschlagen“, sagte Philipp Müller, Präsident der rechtsliberalen FDP. „Die SVP hat damit das thematische Umfeld, um ab durch die Decke zu gehen.“ Müllers FDP ist die zweitstärkste bürgerliche Partei. Ihr sagen Demoskopen einen Zuwachs auf 16,7 Prozent (von 15,1 im Jahr 2011) voraus, wobei die FDP eher mit Wirtschafts- und Europathemen punktet.
SVP und FDP werden Zugewinne von zusammen zehn Mandaten prophezeit, Sozial- und Christdemokraten sowie den Grünen und Grünliberalen hingegen Einbußen. Deshalb ist in der Schweiz von einem absehbaren „Rechtsrutsch“ die Rede. Der wird allerdings keine dramatischen Folgen für die Zusammensetzung der nächsten Regierung haben.
Grund ist das einzigartige politische System der Schweiz. Selbst starke Wählerwanderungen führen nicht zu einer gänzlich anderen Regierung. Die Eidgenossenschaft ist eine Konkordanzdemokratie. Das das heißt: Möglichst viele politische Kräfte werden an der Regierung beteiligt und Entscheidungen werden gemeinsam möglichst im Konsens getroffen. Selbst die Leitung der Regierung ist ein Rotationsjob für einen „Ersten unter Gleichgestellten“.
In den vergangenen Jahren hat sich die SVP mit nur einem Ministerposten zufriedengeben müssen. Gemessen an der Wählerstärke stünden ihr zwei Plätze bei den „sieben Zwergen“ zu, wie die Schweizer ihre Regierung gern nennen. Doch gewählt werden die Minister vom Parlament. Da können auch Kandidaten der stärksten Partei durchfallen. Mehr als zwei Minister kann die SVP sowieso nicht bekommen – egal wie stark sie mit dem Asylchaos-Wahlkampf wird.
Der Schweizer „Rechtsrutsch“ dürfte daher zunächst gedämpft ausfallen. Allerdings wird die Konkordanz ergänzt durch die direkte Demokratie: Das letzte Wort über neue Gesetze hat das Volk an der Referendumsurne.