
Erst der Unfall auf einer Skipiste in den französischen Alpen, lange nach dem Ende seiner Karriere, bringt ihn in eine lebensbedrohliche Situation. „Es ist das Gefühl, sich im Grenzbereich zu bewegen, sich zu entwickeln, die Grenze ständig zu verschieben, das ist wichtig für mich, das macht den Sport für mich so interessant.“
(Michael Schumacher in dem Buch „Michael Schumacher“)
Das Leben im Grenzbereich – für Michael Schumacher ist das so etwas wie ein normales Leben. Als er darüber in seiner Autobiografie schrieb, bezog er es noch rein auf die Formel 1. Dort bewegte sich der mit sieben Weltmeistertiteln erfolgreichste Fahrer der Motorsportgeschichte immer am Limit. In einem Rennwagen mit 350 Stundenkilometern über eine Asphaltpiste zu rasen, war für Schumacher in seiner rund 20-jährigen Karriere Alltag. Dort saß der Pilot in einem Cockpit aus extrem steifer Kohlefaser, geschützt mit einem Spezialhelm und einem Nackenschutz. Zahlreiche Kollisionen und Abflüge von der Strecke überstand der Mann aus Kerpen in Nordrhein-Westfalen auf vier Rädern. Erst der Unfall auf einer Skipiste in den französischen Alpen, lange nach Ende seiner Karriere, bringt Schumacher wegen eines Schädel-Hirn-Traumas in eine lebensbedrohliche Situation. Er liegt im künstlichen Koma.
Mit hoher Geschwindigkeit unterwegs
Es ist Sonntag, ein milder Tag im beliebten Skisportort Méribel. Zusammen mit seinem 14-jährigen Sohn Mick ist Schumacher auf der Piste, heißt es. Am späten Vormittag geschieht das Unglück, offenbar abseits der gesicherten Piste. Michael Schumacher ist nach Auskunft der Ärzte mit hoher Geschwindigkeit unterwegs. Er trägt einen Kopfschutz. Warum er stürzt, ist unklar. Klar ist nur, dass er auf einen Stein prallt. „Ohne Helm hätte er es wohl nicht bis ins Krankenhaus geschafft“, heißt es später.
Nur wenige Minuten nach dem Sturz sind nach Berichten französischer Medien Bergretter bei ihm und bereiten ihn auf den Abtransport mit dem Hubschrauber vor. Schumacher ist ansprechbar. Kurz vor 12 Uhr wird er ins Krankenhaus von Moutiers geflogen, unweit von Méribel. Nach einer ersten Untersuchung wird schnell klar, dass die Schädel-Verletzungen gravierender sind als zunächst angenommen. Die Ärzte entscheiden, den Verunglückten ins Traumazentrum der Universitätsklinik von Grenoble zu fliegen.
Der Hubschrauber startet erneut. Es ist etwa 13.30 Uhr, als der Patient in Grenoble eintrifft. Noch am Nachmittag wird Schumacher operiert. Der französische Arzt Gerard Saillant stößt zum Mediziner-Team dazu. Er ist Hirnspezialist, sagt aber später, er sei „nur als Freund“ da und könne keine fachlichen Fragen beantworten. Seine Freunde und ehemaligen Ferrari-Weggefährten Jean Todt, der mittlerweile Präsident des Automobil-Weltverbandes FIA ist, und Ross Brawn treffen ein. Auch seine Frau Corinna (44) mit den Kindern Gina-Maria (16) und Mick sind bei ihm. Sie sind die Einzigen, die ans Krankenbett dürfen. Die Familie bangt um den Ehemann und Vater, der mit dem Tod ringt, kurz vor seinem 45. Geburtstag am 3. Januar. Dabei hat er schon so viele kritische Momente durchlebt.
Auf einem Motorrad war der gebürtige Kerpener im Februar 2009 verunglückt. Wie schwer die Verletzungen damals waren, war zunächst nicht klar. Später zeigte sich, dass Schumacher großes Glück im Unglück hatte, als er im spanischen Cartagena mit seiner Maschine abgeflogen war. Er erlitt damals unter anderem eine Schädelverletzung.
Seinen schwersten Crash auf vier Rädern erlebte der Ferrari-Pilot 1999 im englischen Silverstone, als sich sein Ferrari in die Reifenstapel bohrte und er einen doppelten Beinbruch erlitt. 98 Tage danach kehrte er in den PS-Zirkus zurück. Was ihm damals half und worauf auch jetzt die Familie und die Freunde hoffen: Michael Schumacher ist ein Fitness-Fanatiker und bestens durchtrainiert. Rennfahren zählt zu seinem Leben, seitdem Michael Schumacher denken kann. Zuerst von Vater Rolf und der inzwischen gestorbenen Mutter Elisabeth gefördert, im Kart. Michael und sein sechs Jahre jüngerer Bruder Ralf kannten nur ein Ziel: die Formel 1.
Seine Premiere in der Königsklasse des Motorsports feiert er 1991. Nach einem Wechsel zu Benetton holt der Deutsche 1994 und 1995 seine beiden ersten WM-Titel. Nach dem Wechsel zu Ferrari folgt zwischen 2000 und 2004 eine bis dato unbekannte Dominanz. Schumacher deklassiert teilweise die Konkurrenz und holt mit dem zuvor als schlampig geltenden italienischen Team fünf weitere Weltmeistertitel in Folge.
Der berühmteste deutsche Sportler
Michael Schumacher ist der berühmteste deutsche Sportler in der Welt, ist längst zu einer Marke geworden. Er wird bewundert – aber selten nur geliebt. Denn mit seinem Namen sind stets auch Attribute verbunden: kompromisslos, besessen, perfektionistisch. Sobald Kameras in der Nähe sind, wirkt Schumacher unterkühlt und distanziert. „Ich bin kein Mensch, der gerne Emotionen zeigt, außer bei denen, die mich gut kennen“, erklärte er einmal: „Ansonsten kontrolliere ich mich, so gut es geht, was den Leuten vielleicht nicht das richtige Bild davon gibt, wer ich bin.“ Sein Privatleben in der Schweiz schirmt er stets gut ab. Bekannt ist, dass der begeisterte Hobby-Fußballer des FC Echichens ein fürsorglicher Vater ist und seiner Frau Corinna bei ihrer großen Leidenschaft, dem Westernreiten, hilft.
Nach einem ersten Abschied aus der Formel 1 im Jahr 2006 kehrt er 2010 für drei Jahre als Mercedes-Pilot ins Cockpit zurück, ohne an die früheren Erfolge anknüpfen zu können. Seine sportliche Bilanz bleibt dennoch einzigartig. Die Konkurrenten bissen sich die Zähne aus an dem Deutschen, der auch nicht davor zurückschreckte den eigenen Bruder nach dem Start schier in die Boxenmauer zu drängen, um sich durchzusetzen. „Schumi“, wie ihn der Boulevard stets nennt, gewann 91 Grand Prix – so viele wie kein anderer. Er wurde sieben Mal Weltmeister – so oft wie kein anderer. Er stand 68 Mal auf der Pole Position – keinem gelang dies häufiger. Was nicht erfolgreich war, machte Schumacher erfolgreich. Auch abseits der Asphaltstrecke sucht er ständig den Kick durch Höchstgeschwindigkeit, ob als Fallschirmspringer oder auf dem Motorrad. Und offenbar auch auf der Skipiste.
Die Nachricht von dem schweren Unfall in Méribel löste in Schumachers Heimatstadt Kerpen Entsetzen aus. Während in Frankreich Spezialisten um das Leben von Michael Schumacher kämpfen, versuchen seine Fans zu Hause, den Schock zu verarbeiten. Sie verfolgen jede Information aus Grenoble, beten, drücken die Daumen, schicken Genesungswünsche an die Familie ihres Idols, an die Stadt, an Fanklubs. In Kerpen hatte der spätere Weltmeister seine ersten motorisierten Runden gedreht, schon als vierjähriger Knirps.
„Es geht mir sehr nahe – und nicht nur mir natürlich“, sagt ein Passant, der Schumacher persönlich kennt. „Ich habe ihn früher öfters getroffen – der Kontakt lief über meine Ex-Frau.“ Der Mann kann kaum fassen, was aus Frankreich gemeldet wird: „20 Jahre fährt er Formel 1, praktisch nichts wirklich Gravierendes ist passiert. Und jetzt das beim Skifahren im Urlaub.“ Mit Material von dpa