Martin Schulz wählte wieder einmal deutliche Worte. Die Attacken des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan gegen deutsche Abgeordnete, die er als verlängerten Arm der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK bezeichnet hatte, seien „ein absoluter Tabubruch“, heißt es in einem Schreiben, das der Präsident des Europäischen Parlaments gestern nach Ankara schickte.
„Die Freiheit der Mandatsausübung, insbesondere die Freiheit von jedwedem äußeren Druck, ist einer der entscheidenden Gradmesser für die Qualität einer Demokratie“, schrieb Schulz. „Wenn Abgeordnete eines Parlamentes allerdings erleben müssen, dass höchste Organe eines anderen Staates durch ihr Verhalten und ihre Äußerungen diese Garantie in Frage stellen und dies gar zu Bedrohungen führt, wird das auf Dauer nicht ohne Auswirkungen auf die internationalen Beziehungen bleiben.“ Einige der angegriffenen türkischstämmigen Abgeordneten des deutschen Parlaments „stehen mir persönlich sehr nahe. Ich fühle mich verpflichtet, sie, wo es mir möglich ist, zu schützen.“ So machte Schulz den Konflikt zwischen Ankara und Berlin zu einem europäischen Thema.
Der 60-jährige deutsche Sozialdemokrat gilt seit seiner Wahl zum Chef der 751 Abgeordneten aus 28 Mitgliedstaaten 2012 (Schulz gehört dem Straßburger Plenum seit 1994 an) als Freund offener Worte und scheut auch keinen Konflikt. Erst vor wenigen Tagen forderte er seinen Parteifreund, den früheren EU-Kommissar Günther Verheugen, unmissverständlich auf, sich einer Anhörung des Abgas-Untersuchungsausschusses zu stellen. Der langjährige Industriekommissar wollte sich einer Befragung entziehen. Schulz: „Ich zähle auf Ihren guten Willen.“
Wenige Wochen zuvor hatte er Erdogan bereits offen kritisiert und festgestellt: „Seit den letzten Wahlen (in der Türkei, d. Red.) wird systematisch der Rechtsstaat ausgehöhlt und eine Ein-Mann-Herrschaft zementiert.“ In der Griechenland-Krise rügte er das Vorgehen des Athener Premiers Alexis Tsipras mit den Worten, dessen Regierung gehe ihm „zuweilen erheblich auf die Nerven“.
Den amerikanischen Präsidentschaftsbewerber Donald Trump bezeichnete Schulz, der mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker eng befreundet ist, als „Populisten“ und befürchtete für den Fall seiner Wahl „extrem gefährliche Entscheidungen“. Kein Wunder, dass der gelernte Buchhändler Schulz wegen seiner deutlichen Formulierungen inzwischen ein gern gesehener Gast in allen möglichen TV-Talkrunden ist. Aber auch in Brüssel wissen Parteifreunde und politische Gegner, dass er dem Parlament zu größerer Aufmerksamkeit und Respekt verholfen hat.