Der letzte SPD-Kanzler sollte helfen, den nächsten ins Amt zu bringen. So zumindest hofften es die Sozialdemokraten. Noch vor Wochen begeisterte Gerhard Schröder mit einer Mut-Rede 4000 Mitglieder beim Parteitag in Dortmund. Martin Schulz, in Umfragen aussichtslos zurückliegender Kanzlerkandidat, hätte Schützenhilfe vom noch immer populären Altkanzler dringend gebrauchen können. Stattdessen wird Schröder für die Wahlchancen seiner Partei gerade zum unkalkulierbaren Risikofaktor.
In Parteikreisen ist von „Fassungslosigkeit und Entsetzen“ die Rede – darüber, dass sich der Altkanzler wenige Tage nach dem Urnengang in Deutschland selbst zur Wahl stellt. Er kandidiert ausgerechnet für einen lukrativen Posten beim halbstaatlichen russischen Ölgiganten Rosneft. Sein Einzug in den Aufsichtsrat gilt nur noch als Formsache. Damit wäre Schröder quasi beim russischen Präsidenten Wladimir Putin beschäftigt, mit dem ihn eine langjährige Männerfreundschaft verbindet.
„Diener der Politik Putins“
Von allen Seiten hagelt es Kritik. „Er erniedrigt sich endgültig zu einem bezahlten Diener der Politik Putins“, wettert der Grünen-Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer. Die Gesellschaft für bedrohte Völker wirft Schröder „moralischen Blindflug“ vor. Russland missachte auf der völkerrechtswidrig besetzten Insel Krim die Menschenrechte der Krimtataren. Rosneft zerstöre mit seiner Öl- und Erdgasförderung die Lebensgrundlage indigener Völker in der Arktis und Sibirien. Der ukrainische Botschafter in Deutschland Andrij Melnyk sagte, es sei moralisch verwerflich, „dass ein ehemaliger Bundeskanzler und führendes SPD-Mitglied vom Kremlchef instrumentalisiert wird“.
In der SPD ist weit und breit niemand in Sicht, der Schröder verteidigt. Parteivorsitzender Martin Schulz distanziert sich deutlich: „Ich würde das nicht tun.“ Wenn sich Schröder für einen solchen Posten entscheide, sei das seine Privatsache. Für ihn sei klar: „Auch nach meiner Zeit als Bundeskanzler werde ich keine Jobs in der Privatwirtschaft annehmen.“
Die Affäre um den möglichen Rosneft-Posten trifft einen wunden Punkt: Dass Schröder schon kurz nach seiner Abwahl 2005 einen lukrativen Posten beim Erdgas-Pipeline-Projekt Nord Stream angenommen hat, für das er noch kurz zuvor als Bundeskanzler den Weg freigemacht hatte, ist in der SPD bis heute umstritten. An der Ostsee-Gasleitung hält der russische Staatskonzern Gazprom die Mehrheit. Seit 2016 kümmert sich Schröder für Gazprom um das umstrittene Nachfolgeprojekt Nord Stream 2.
Unvergessen ist, dass Schröder seinen Freund Putin einst als „lupenreinen Demokraten“ bezeichnet hat. Seit Putins Annexion der Krim, dem von Moskau befeuerten Konflikt in der Ostukraine oder der Unterstützung des syrischen Diktators Assad durch Russland sehen viele Sozialdemokraten die Kreml-Nähe des Ex-Kanzlers immer kritischer.
Der Job, den Schröder jetzt in Aussicht hat, wäre bei einem Konzern, der auf der Sanktionsliste der Europäischen Union steht. Das russische Gas und die Pipelines, durch die es fließt, sind für Moskau nicht nur Devisenbringer – sondern auch Mittel der Politik. Staaten, die nicht spuren, drehen die Russen kurzerhand den Gashahn zu.
Die Diskussion drohe, die gesamte sozialdemokratische Außenpolitik in Misskredit zu bringen, heißt es im Umfeld der Parteizentrale. Dort, wo die SPD einen Moskau-freundlichen, gegenüber Amerika skeptischen Kurs einschlägt, könne der Eindruck entstehen, dies habe mit Schröders Russland-Connection zu tun.
Gewaltiger Neidfaktor
Unabhängig von der außenpolitischen Brisanz und der Fragen der Moral – in der Partei, die sich als Anwalt der kleinen Leute versteht, wissen die Strategen auch um den gewaltigen Neidfaktor. Über Schröders Beteuerung, dass der Posten, der ihm winkt, keinesfalls mit sechs Millionen Euro im Jahr dotiert sei, wie die „Bild“-Zeitung nahelegt, sondern mit weniger als einem Zehntel dieser Summe, raufen sich die Genossen die Haare. Das wären dann immer noch knapp 600 000 Euro im Jahr. Zusätzlich zu den üppigen Gazprom-Bezügen, die auch deutsche Verbraucher über ihre Gasrechnung mitfinanzieren – von mehreren Hunderttausend Euro im Jahr ist die Rede.
Dass der Altkanzler, wie der Bund der Steuerzahler vor zwei Jahren errechnete, monatlich ein Ruhegeld von 8300 Euro erhält, dazu Büro, Dienstwagen und Personenschutz ebenfalls vom deutschen Steuerzahler bezahlt bekommt, fällt da kaum mehr ins Gewicht.
Gerhard Schröder hat die Kritik an seinem möglichen Rosneft-Engagement als Wahlkampfhilfe der Medien für Angela Merkel abgetan. Doch das nehmen ihm selbst die eigenen Parteifreunde nicht ab. Der Altkanzler sei Politprofi genug, um die „verheerende Außenwirkung“ der Rosneft-Diskussion einschätzen zu können, sagt ein Funktionär: „Wenn Schröder nicht merkt, dass er uns allen und besonders Martin Schulz einen Bärendienst erweist, hat er den Bezug zur Realität völlig verloren.“