Es liegt eine Baustelle an jenem Ort, wo Nationalhelden geboren und Schlachten geführt wurden. Die Bagger rattern. Zwei Monate lang wird das Wallace Monument, in dessen Museum unter anderem das Schwert des Freiheitskämpfers William Wallace gehütet wird, renoviert. Der Patriot ist weltweit in Gestalt von Mel Gibson aus dem Heldenepos „Braveheart“ bekannt.
Putzen die Menschen der Stadt Stirling den Turm absichtlich 2014 heraus? Es ist jenes Jahr, in dem Schottland Geschichte schreiben könnte. Am 18. September dürfen etwa vier Millionen schottische Wähler eine simple Frage beantworten: „Soll Schottland ein unabhängiges Land werden?“ Ja oder Nein. Es könnte nach 307 Jahren das Ende des Vereinigten Königreichs bedeuten und damit den Beginn eines Kleinbritanniens einläuten.
Von der Aussichtsplattform des Denkmals blicken die Stirling-Besucher auf die Statue von König Robert Bruce. Er führte vor 700 Jahren die Schotten in die Schlacht von Bannockburn, bei der die englischen Nachbarn vernichtend geschlagen wurden. Im Sieg von Robert Bruce im Jahr 1314 liegt der Mythos eines unabhängigen Schottlands begründet.
Diesen Mythos will Alex Salmond, der „Erste Minister“ und damit so etwas wie der Ministerpräsident, in ein neues Zeitalter führen. Wahrscheinlich hätte der Chef der Schottischen Nationalpartei SNP sogar wenig dagegen, für die Abspaltung königähnlich gefeiert zu werden. Was bliebe aber übrig? Ein Zwergstaat, wie ihn sich die Befürworter eines eigenständigen Schottlands wünschen, der jedoch weiterhin die Queen als Staatsoberhaupt hat, dessen Fernsehprogramm auch in Zukunft bestückt mit BBC-News wäre und der das Pfund behält, besser gesagt behalten will.
Schon hier hakt es. Vor einigen Wochen hat Finanzminister George Osborne klargemacht: Das Vereinigte Königreich will keine Währungsunion mit einem souveränen Nachbarn. Dem Konservativen schlossen sich der liberal-demokratische Koalitionspartner und die Labour-Partei an. Das heißt: Egal, wer in Zukunft in Westminster regiert, das Pfund Stirling will keine Partei mit einem autonomen Schottland teilen.
„Währungsunion macht Sinn“
Alex Salmond und seine Anhängerschar glauben diesen Aussagen nicht. Manche reden von einem Bluff, andere von Panikmache aus London, um die Menschen einzuschüchtern. „Es macht einfach für beide Seiten Sinn, in einer Währungsunion zu bleiben“, sagt Ian McDougall, Chef einer Steuerberatungskanzlei in Glasgow. Ihn könnte man mit Fug und Recht als glühenden Unabhängigkeitsanhänger bezeichnen. Die Geschäfte scheinen gut zu laufen, warum also aus dem Königreich austreten? „Die schottische Wirtschaft könnte noch stärker sein“, sagt er und in seinen Augen erstrahlen bereits blühende Landschaften im regnerischen Schottland. Es werde nicht genug in das produzierende Gewerbe investiert.
Die Öl- und Gasreserven
Schiffsbau, Stahlindustrie, Maschinenbau – in den 80er Jahren habe die Regierung unter Margaret Thatcher beschlossen, den Fokus auf den Bank- und Dienstleistungssektor zu legen. „Aber was super für London ist, funktioniert nicht gleichermaßen für Schottland“, findet McDougall. Er will eine Regierung in Schottland, die selbst entscheiden kann, wohin das Geld fließt.
Ein Grund für das Selbstbewusstsein ist der wohl bedeutendste Aspekt in der Debatte: die Öl- und Gasreserven in der Nordsee. Die Vorräte liegen zu etwa 90 Prozent auf schottischem Gebiet. Die Steuereinnahmen aus den Rohstoffmilliarden wollen die Unabhängigkeitsbefürworter nicht länger teilen, ein Zukunftsfonds soll aufgebaut werden. Alex Salmond hat Skandinavien als Vorbild auserkoren: „Wir brauchen die norwegische Herangehensweise, nicht jene aus Westminster.“ Der Topf soll jährlich mit umgerechnet 1,21 Milliarden Euro gespeist werden. Doch Premier David Cameron betonte erst kürzlich, dass die Vorkommen vor der Küste kontinuierlich sinken. Die schottische Ölindustrie brauche „die breiten Schultern von einer der zehn größten Volkswirtschaften der Welt“.
Papperlapapp. So oder ähnlich klingt die Antwort der Abtrünnigen auf die Befürchtungen aus London. „Es ist schlichtweg beschämend, dass wir seit so vielen Jahren Öl haben und trotzdem Hunderttausende Schotten in Armut leben“, fasst der Geschäftsmann McDougall die Ansicht vieler Befürworter zusammen. „Ich frage mich, was der Rest der Welt von uns denken würde, wenn wir diese einmalige Chance auslassen.“
Da ist sie wieder, jene „einmalige Gelegenheit“, von der im Zusammenhang mit diesem Thema so viel zu hören ist. Sie zu betonen wird von keinem der Separatisten vergessen. Sogar der nicht in seiner Heimat lebende Filmstar Sean Connery, vor allem bekannt für seinen Einsatz für die britische Krone, rief seine Landsleute zu einem Ja auf. Er bezeichnete es als eine, natürlich, „einzigartige Gelegenheit“.
Die Umfragen stehen aber noch auf Seiten der Unionisten: Sechs Monate vor dem Referendum würden etwas mehr als 50 Prozent gegen die Abspaltung stimmen, ein Drittel der Schotten dafür. Und viele Menschen sind noch unentschlossen.