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LONDON
Schock über Missbrauchsskandale
byl
 |  aktualisiert: 11.12.2019 19:07 Uhr

Zeitungsartikel in Großbritannien lesen sich derzeit allzu oft wie grausame Kriminalgeschichten. Sie bringen zutage, was lange im Verborgenen lag. Von Gruppenvergewaltigungen ist die Rede und Sklaverei, von Sexualverbrechen und Pädophilenringen. Hat der Kindesmissbrauch in Großbritannien tatsächlich „industrielle Ausmaße“ angenommen, wie es Premierminister David Cameron kürzlich nannte?

Vieles deutet darauf hin, auch die jüngsten Ermittlungen, wonach Londoner Polizeibeamte in den 1970er Jahren einen großen Pädophilenring gedeckt haben sollen. Der unabhängige Beschwerdeausschuss der Polizei untersucht die Vorwürfe, nach denen Beamte Beweismaterial unterdrückt, Ermittlungen verhindert oder hinausgezögert sowie Straftaten vertuscht haben sollen, weil sie auf die Verstrickung ihnen nahestehender Personen gestoßen seien. Laut „Guardian“ waren Politiker und hochrangige Polizisten in die Machenschaften verwickelt.

Neuer schockierender Fall

Die Anschuldigungen wiegen schwer und fallen zusammen mit einem neuen schockierenden Fall. Einem Bericht einer Kinderschutzkommission zufolge wurden in der Grafschaft Oxfordshire in den vergangenen 16 Jahren etwa 400 minderjährige Mädchen Opfer organisierter Banden mit meist pakistanischem Einwanderungshintergrund. Die Vergehen sind erschütternd. So wurden die Kinder unter anderem vergewaltigt, an andere Banden verkauft und gezwungen, Drogen zu nehmen.

Auch in der Hochglanzwelt der Promis wurde es gruselig, sobald das Scheinwerferlicht aus war. Erst vor wenigen Wochen ist der Glam-Rock-Musiker Gary Glitter von einem Londoner Gericht des Missbrauchs Minderjähriger sowie der versuchten Vergewaltigung schuldig gesprochen worden. Ein tiefer Fall für den 70-Jährigen, der als Superstar aus den 70er und 80er Jahren hinter der Bühne seine pädophilen Neigungen auslebte, indem er sich an jungen Mädchen vergriff. 40 Jahre blieb der Ex-Rocker ohne Strafe, aufgrund einer „Immunität des Ruhms“, wie es der Staatsanwalt nannte.

Die schaurigen Fälle reihen sich ein in jene Missbrauchsskandale, die das Vereinigte Königreich seit Jahren erschüttern. Viele Vergehen liegen lange zurück, begonnen hat die juristische Aufarbeitung erst spät im Zuge der Ermittlungen um den mittlerweile verstorbenen Star-Moderator Jimmy Savile, der über Jahrzehnte Hunderte Kinder und Erwachsene missbrauchte und sich sogar an Leichen vergangen haben soll. Neben weiteren Verurteilungen wurde im vergangenen Jahr auch der ehemalige BBC-Starmoderator Rolf Harris schuldig gesprochen. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der 84-Jährige zwischen 1968 und 1986 mehrere Mädchen und junge Frauen zwischen sieben und 19 Jahren belästigte und vergewaltigte.

Doch die Enthüllungen betrafen nicht nur die Entertainmentbranche. Hinter den altehrwürdigen Mauern von Westminster sollen Parlamentarier Affären mit Jugendlichen gehabt haben, in staatlichen Krankenhäusern des britischen Gesundheitssystems NHS haben Mitarbeiter Leichen geschändet und dann kam wohl der abgründigste Fall ans Licht. Im nordenglischen Rotherham wurden über 16 Jahre lang mindestens 1400 Kinder Opfer von Sexualstraftätern – vergewaltigt, geschlagen, zur Prostitution gezwungen und versklavt. Erst Anfang März lud Premierminister Cameron Opfer zu sich in die Downing Street ein und sprach im Anschluss von „absoluten Horrorgeschichten“, die ihm erzählt wurden. In dem damaligen Report hieß es, interne Berichte über die Situation seien unterdrückt oder ignoriert worden. Kinderschutzbehörden und Polizei hätten versagt.

Opfer fanden kaum Gehör

Viele suchten die Gründe in der Angst vor Spannungen mit Migranten. Die Sorge, als rassistisch oder befangen gegenüber Einwanderern zu gelten, wenn sie gegen die nach außen unbescholtenen, größtenteils pakistanischstämmigen Familienväter vorgegangen wären, führte offenbar dazu, dass die Sozialarbeiter nicht genauer nachfragten.

Politische Korrektheit als Entschuldigung fürs Wegschauen? Medien kritisierten, dass die britische Kultur der Zurückhaltung und Höflichkeit ihren Teil dazu beigetragen hat. Zahlreiche Opfer gingen zur Polizei, doch sie fanden kaum Gehör. Wie wichtig nun die Aufarbeitung ist, zeigen ihre Ergebnisse.

 
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