Bei der Wahl in Griechenland am Sonntag geht es nicht nur um die Hellenen, sondern auch um Europa. Eine neue Regierung unter dem Chef des linken Syriza-Bündnisses, Alexis Tsipras (40), die letzten Umfragen zufolge möglich wäre, könnte erhebliche Nachbeben in Brüssel auslösen.
Tsipras hat lange für einen Ausstieg Griechenlands aus dem Euro plädiert, ist von dieser Forderung jedoch wieder abgewichen. Aber er pocht weiter darauf, dass wesentliche Teile der Reformauflagen, die Athen als Gegenleistung für die beiden Rettungspakete versprochen hat, ausgesetzt oder verschoben werden. So will er die Privatisierung von Staatsunternehmen stoppen und entlassene Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes wieder einstellen, was allein zwölf Milliarden kosten würde. Der Mindestlohn soll von 586 auf 751 Euro ebenso angehoben werden wie die Renten. Das alles erfordert Geld, das die Hellenen nicht haben. Neue Schulden aber würden die Sanierung des Landes ausbremsen. Schließlich steht das Land schon mit 174 Prozent seiner jährlichen Wirtschaftsleistung bei seinen Freunden in der Kreide.
Auch die Geberländer sehen durchaus, dass die Griechen nicht länger immer nur sparen können. Man wäre wohl auch bereit, über Erleichterungen und zusätzliche Impulse für Wachstum zu sprechen, solange Athen im Euro bleibt und grundsätzlich an den Reformen festhält. Aber man fürchtet natürlich einen Flächenbrand. Der Syriza-Chef will ein Bündnis der übrigen EU-Südstaaten, die ebenfalls unter dem Spardruck aus Brüssel leiden. Dass er dafür viel Zustimmung in Italien, Spanien, Zypern, Malta oder Portugal bekäme, scheint absehbar. Wenn sich aber alle, die erst Geld bekommen haben, auflehnen und sowohl die Rückzahlung der Hilfen wie auch die Eigenleistung versagen, ist das Rettungssystem für den Euro, der ESM, am Ende. Und die Geberländer bleiben auf den Hilfen, für die sie gebürgt haben, sitzen. Denn das ist sozusagen der Albtraum aller: Tsipras denkt offen über einen Schuldenschnitt nach.
Das kommt darauf an, was man unter Schuldenschnitt versteht. Vereinfacht gesagt, hat Athen aus zwei Rettungspaketen bisher 240 Milliarden Euro erhalten (sowie einen Schuldenverzicht privater Gläubiger in Höhe von rund 109 Milliarden). Diese Darlehen haben eine Laufzeit von 50 Jahren und werden mit 1,5 Prozent verzinst. Der Euroraum wäre wohl bereit, die Fälligkeit noch weiter hinauszuschieben und die Zinsen zu senken. Das ist dann zwar kein echter Schuldenschnitt, aber ein Schritt, der so wirkt.
Niemand kann ein Land aus der Währungsunion ausschließen. Der Grexit, wie dieser Ausstieg genannt wird, ist eine theoretische Diskussion. Denn freiwillig werden die Griechen nicht gehen. Bei Umfragen sagten drei Viertel der Befragten, sie wollten den Euro behalten.
Trotz aller weiterhin schwelenden Probleme haben die Euro-Partner durch ihre Krisenintervention erreicht, dass die Investoren zurückgekommen sind. Auch nach Griechenland. Die radikalen Botschaften von Tsipras aber haben sie erneut verschreckt. An den Finanzmärkten hatte man geglaubt, dass der Euroraum auf einem guten und verlässlichen Weg aus dem Tief heraus ist. Nun weiß man nicht, ob es dabei bleibt. Diese Verunsicherung des Marktes wird den Euro treffen, weil die Investoren ihr Geld dann anderswo einsetzen.
Die Sozialdemokraten haben zwar die letzte Wahl gewonnen, müssen aber jetzt um den Wiedereinzug ins Parlament fürchten. Die Konservativen (Nea Dimokratia) des amtierenden Ministerpräsidenten Antonis Samaras liegen in Umfragen fünf Prozent hinter den Linken. Sie lehnen deren Kurs ab. Man könne sich nicht Geld leihen und dann sagen „Ich zahle nicht“, hat Samaras immer wieder betont. Sollte Syriza keine absolute Mehrheit erreichen, braucht Tsipras aber einen Koalitionspartner. Dafür kämen nur die Konservativen sowie die neue proeuropäische Partei „To Potami“ (Der Fluss) infrage. In einem solchen Bündnis würde Tsipras deutlich zurückstecken müssen.
Zum einen werden nur 250 der 300 Parlamentssitze in einfacher Verhältniswahl vergeben. 50 Sitze bekommt der Wahlsieger als Zuschlag. Wichtiger ist aber noch eine andere Regel: Sollten die Linken tatsächlich zur stärksten Kraft aufsteigen, erhält Tsipras ein Verhandlungsmandat für eine neue Regierung. Das gilt aber nur drei Tage. Dann fällt es an den Führer der zweitstärksten Kraft – und so weiter. Wer in dieser Zeit eine Koalition zustande bringt, wird neuer Regierungschef. Die anderen Parteien bräuchten ihn also nur drei Tage lang auflaufen zu lassen und dann eine eigene Mehrheit zu bilden, um ihn zu verhindern.