Hermann Gröhe, der Generalsekretär der CDU, ist sich seiner Sache sicher. „Ich habe volles Vertrauen in Annette Schavan und ihre klare Aussage, dass die gegen sie erhobenen Vorwürfe nicht zutreffen“, sagt er. Bis zur Entscheidung der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität sind es da zwar noch ein paar Stunden – die Solidaritätsadresse aus dem Adenauer-Haus allerdings soll vor allem eines signalisieren: Auf ihre Partei kann die Bundesministerin für Bildung und Forschung sich auch in schwierigen Zeiten verlassen. Und schwierig werden die Zeiten, nachdem der Rat der Philosophischen Fakultät gestern Abend beschlossen hat, ein Verfahren zur Aberkennung ihres Doktortitels einzuleiten.
Als die Mitglieder des Gremiums in einem geheim gehaltenen Raum mit ihren Beratungen beginnen, sitzt die Ministerin noch im Bundestag. In Gedanken allerdings ist sie am Nachmittag vermutlich weniger bei Angela Merkel und François Hollande, sondern in Düsseldorf, wo die Gespräche sich hinziehen wie so vieles in dieser schon acht Monate dauernden Hängepartie.
Am Ende ist das Ergebnis jedoch eindeutig: 14 der 15 Mitglieder stimmen für das Plagiatsverfahren, das nicht zwingend zum Verlust des Doktortitels führen muss. „Ich möchte betonen, dass das Verfahren ergebnisoffen ist“, sagt Vorsitzende des Fakultätsrats, Bruno Bleckmann. Die Prüfer können auch zu der Ansicht kommen, dass die vorgebrachten Gründe für einen Entzug nicht ausreichen.
Sie zittere nicht um ihren Titel, hat Annette Schavan vor kurzem noch in einem Interview gesagt. „Ich warte gelassen ab.“ Doch seit ein anonymer Plagiatsjäger im Mai seine Vorwürfe öffentlich gemacht hat, fällt ihr Name in einem Atemzug mit dem von Karl-Theodor zu Guttenberg und denen der FDP-Europa-Abgeordneten Silvana Koch-Mehrin und Jorgo Chatzimarkakis, die ihre Doktorwürden allesamt wieder los sind. Wie schwer die Verstöße der CDU-Frau jedoch wiegen – das ist unter Experten höchst umstritten. Der Schweizer Literaturforscher Philipp Theisohn etwa, Autor mehrerer Bücher über Plagiate in der Wissenschaft, würde ihr die Doktorwürde nicht aberkennen: In der Pädagogik vor 30 Jahren, betont er, sei es gängig gewesen, Thesen zu sammeln und umzuschreiben. Dass die junge Erziehungswissenschaftlerin Schavan bewusst getrickst haben soll, kann Theisohn sich nur schwer vorstellen. Auch die beiden renommierten Berliner Erziehungswissenschaftler Dietrich Brenner und Heinz-Elmar Tenorth kommen zu dem Schluss, die Arbeit enthalte zwar Zitierfehler, sei aber kein Plagiat.
Den Vorwurf des Promotionsausschusses, sie habe sich bei ihrer Arbeit von einer „Täuschungsabsicht“ leiten lassen, bestreitet sie entschieden. Natürlich hätte sie hier und da noch sorgfältiger formulieren können, räumt Annette Schavan später ein. Angefertigt aber habe sie die Arbeit „nach bestem Wissen und Gewissen“. Auch ihr Doktorvater Gerhard Wehle spricht von einer Promotion, die „in sich stimmig“ sei.
Ihr unsichtbarer Gegner, der sich im Internet hinter dem Pseudonym „Robert Schmidt“ versteckt, will in dem mehr als 350 Seiten langen Text dagegen 92 Stellen gefunden haben, in denen sie Quellen unterschlagen oder falsch zitiert hat.
Von einem Gutachten der Hochschule, die dieser Argumentation im Kern folgt, erfährt die Betroffene allerdings nur auf Umwegen, nämlich durch einen Journalisten. Seitdem hat nicht nur Annette Schavan ein Problem, sondern auch die Heine-Universität, die den Vorgang prüft und prüft und prüft und immer neue Details durchsickern lässt. Mehrere namhafte Wissenschaftsorganisationen haben sie überdies aufgefordert, noch ein zweites Gutachten einzuholen - bislang ohne Erfolg.
Anders als Guttenberg, von dem sie selbst gesagt hat, sie schäme sich als Bildungsministerin „nicht nur heimlich“ für dessen Plagiate, kann Annette Schavan offenbar weiter auf die Unterstützung der Kanzlerin zählen. Mehrfach hat sie bereits angekündigt, nach einem Wahlsieg Ministerin bleiben zu wollen, nur ihr Amt als stellvertretende CDU-Vorsitzende hat sie niedergelegt, wenn auch aus anderen Gründen.
An einen Rückzug aus der Politik denkt Annette Schavan jedenfalls nicht: Am Freitag will sie sich in ihrem Ulmer Wahlkreis erneut als Direktkandidatin für die Bundestagswahl nominieren lassen, und anders als bei ihren beiden ersten Anläufen hat sie bisher auch keinen Gegenkandidaten.
Dafür hat sie allerdings auch einiges getan: Die Kritik, sie sei in Ulm und um Ulm herum nicht präsent genug, ist mittlerweile verstummt, was nicht nur daran liegt, dass die Abgeordnete Schavan sich in ihrer Wahlheimat häufiger sehen lässt. Ihr Ministerium hat auch mehr als 100 Millionen Euro in den Ausbau der Ulmer Universität gesteckt.