zurück
LONDON
„Schaut zu den Sternen“
Von unserer Korrespondentin Katrin Pribyl
 |  aktualisiert: 22.03.2018 03:13 Uhr

Als Stephen Hawking anlässlich seines 70. Geburtstags nach Cambridge in die Abteilung der theoretischen Physik zu einer Party einlud, flankierte eine Konferenz „zum gegenwärtigen Stand auf dem Feld der Schwarzen Löcher und Kosmologie“ das Fest. Das klang nicht gerade nach einem glamourösen Gesellschaftsereignis, zu dem die A-Prominenz des Königreichs strömen würde. Doch es sagt viel über die große Anziehungskraft des britischen Astrophysikers aus, dass neben Wissenschaftlern und Nobelpreisträgern unter anderem auch der milliardenschwere Geschäftsmann Richard Branson und das Model Lily Cole erschienen.

Es gehörte immer zu Hawkings Anliegen, schwierigste Fragestellungen auch Menschen außerhalb der Wissenschaftswelt näher zu bringen. Dafür nutzte er jede Möglichkeit. Hawking musste seiner eigenen Geburtstagsparty damals aus gesundheitlichen Gründen zwar fernbleiben. Der Popstar der Wissenschaft und „Archetypus eines behinderten Genies“, wie der für seinen Humor bekannte Hawking sich einmal nannte, sollte aber noch etliche Gelegenheiten erhalten, über die großen Themen dieser Zeit zu sprechen, während die Welt gebannt der markanten Roboterstimme aus dem Sprachcomputer lauschte. Bis jetzt.

Am Mittwochmorgen ist Stephen Hawking im Alter von 76 Jahren in seinem Haus in Cambridge gestorben. Ausgerechnet am 14. März, einem Datum, an dem Mathematiker traditionell jedes Jahr die Kreiszahl Pi ehren und an dem Albert Einstein im Jahr 1879 geboren wurde. Mit dem Genie wurde Hawking immer wieder verglichen aufgrund seiner bahnbrechenden Erkenntnisse über den Urknall, Schwarze Löcher und die Quantenphysik. Zu seinen bedeutendsten Erfolgen gehörte etwa, dass er vor mehr als 40 Jahren prognostizierte, dass Schwarze Löcher – gewaltige, massereiche Objekte im Kosmos – unter bestimmten Umständen Energie verlieren. Deren Strahlung wurde nach Hawking benannt.

Sein populärwissenschaftliches Buch „Eine kurze Geschichte der Zeit“ wurde in 40 Sprachen übersetzt und weltweit mehr als zehn Millionen Mal verkauft. Zeit seines Lebens war er auf der Suche nach der alles erklärenden Weltformel. Hawking, dessen Theorien auch umstritten waren und sind, und der sich selbst ab und an korrigierte, wird sie nicht mehr entwickeln können.

Der „Erklärer des Universums“ redete regelmäßig über den Tod. Doch Angst davor, so sagte er stets, verspüre er nicht – auch wenn er nicht an das Konzept eines Jenseits glaubte. „Ich betrachte das Gehirn als einen Computer, der aufhört zu arbeiten, wenn seine Einzelteile nicht mehr funktionieren“, sagte der schwer kranke Hawking einmal mittels seines Sprachgeräts. Die krächzende Stimme wurde zu seinem Markenzeichen. „Es gibt kein Leben nach dem Tod für kaputte Computer. Das ist ein Märchen für Leute, die Angst im Dunkeln haben.“

Er lebte 50 Jahre länger als prognostiziert

Geboren am 8. Januar 1942 in Oxford und damit genau 300 Jahre nach dem Tod von Galileo Galilei, wuchs er in London und St. Albans auf, studierte später zuerst Physik, dann Kosmologie am Trinity College in Cambridge. 1964 teilten ihm seine Ärzte mit, er habe nur noch zwei Jahre zu leben, vielleicht drei. Der 21-jährige Student, der gerne ruderte und ritt, war verzweifelt, als die lebensbedrohliche Muskelschwäche Amyotrophe Lateralsklerose, kurz ALS, diagnostiziert wurde. Doch er fand neuen Mut und lebte letztlich mit der degenerativen Erkrankung des motorischen Nervensystems, die nach und nach jeden Muskel lähmt, mehr als ein halbes Jahrhundert länger als prognostiziert. Er heiratete seine Freundin Jane und bekam drei Kinder mit ihr. Seit 1968 saß Hawking im Rollstuhl. Im Alter von nur 32 Jahren wurde er 1974 zum jüngsten Mitglied der britischen Royal Society ernannt.

Mitte der 80er Jahre hatte ein Luftröhrenschnitt aufgrund einer Lungenentzündung die Folge, dass er nicht mehr sprechen konnte. Seine mächtige Stimme aber verlor Stephen Hawking nie – auch dank seines Prominenten-Status. Er hatte nie Berührungsängste, trat in mehreren TV-Serien auf, wurde Zeichentrickfigur bei den „Simpsons“ und ist sogar als Lego-Figur erhältlich. 2009 setzte er sich zur Ruhe. Da war er in zweiter Ehe bereits 14 Jahre mit seiner Pflegerin Elaine Mason verheiratet, nachdem er sich 1990 von seiner Frau getrennt hatte. Er äußerte sich weiter zu den großen Fragen der Menschheit, zum Universum, zu Gott wie auch zu politischen Themen wie dem Brexit – er war ein lautstarker Gegner – oder der Erderwärmung, vor der er die Welt warnte. In „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ wurde sein ungewöhnliches Leben verfilmt.

Für einige ist er einer der größten Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts. Viele andere werden ihn für etwas in Erinnerung behalten, das nicht weniger wertvoll ist: Stephen Hawking war ein Mann, der sich durch die Entschlossenheit definierte, sein Leben nicht durch seine Krankheit bestimmen zu lassen. Und wie inspirierend seine Wirkung ist, zeigt seine letzte Botschaft. In einem berührenden Abschiedsvideo ermutigt er: „Erinnert euch, zu den Sternen zu schauen und nicht runter zu euren Füßen. Versucht, den Sinn zu verstehen von dem, was ihr seht, und fragt euch, wie das Universum existieren kann. Seid neugierig und, egal wie schwierig das Leben aussehen mag, es gibt immer etwas, das ihr tun und wobei ihr erfolgreich sein könnt. Wichtig ist, dass ihr einfach nicht aufgebt.“ Seine letzten Worte: „Danke, dass ihr mir zugehört habt.“

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Albert Einstein
Astrophysikerinnen und Astrophysiker
Galileo Galilei
Königreiche
Nobelpreisträgerinnen und Nobelpreisträger
Richard Branson
Schwarze Löcher
Stephen Hawking
Theoretische Physik
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen