Normalerweise gehen die Präsidentschaftswahlen im Europäischen Parlament zur Halbzeit der Legislaturperiode weitgehend unspektakulär über die Bühne. Das lag vor allem daran, dass es eigentlich immer einen Hinterzimmerdeal gegeben hat – eine Vereinbarung, die hinter geschlossenen Türen getroffen wurde, und mit der sich eine Fraktion mit Unterstützung anderer die nötige Mehrheit sichert. Doch dieses Mal ist alles anders. Sieben Kandidaten treten an – und alle betonen, dass keinerlei Absprachen vorab zum Wahltag am Dienstag in Straßburg getroffen worden seien. Umso spannender wird, wer das Rennen für sich entscheiden wird. Aber wer tritt eigentlich an? Wir stellen die drei aussichtsreichsten Kandidaten vor.
Antonio Tajani: Der gebürtige Römer hat Rechtswissenschaften studiert und leitete einmal die Hauptstadtredaktion einer italienischen Tageszeitung, bevor er 1994 den Weg ins Europäische Parlament fand. Dort wurde der Europaabgeordnete der konservativen Partei Forza Italia, die er selbst mitbegründete, praktisch zum Urgestein, bis er 2008 in die EU-Kommission wechselte. In der Behörde war er unter Präsident José Manuel Barroso zunächst für Verkehr, später für Industrie und Unternehmen zuständig.
Bei den letzten Europawahlen 2014 kehrte Tajani schließlich ins Parlament zurück. Dort hat er seit 2002 den Vizevorsitz seiner Fraktion, der Europäischen Volkspartei (EVP) unter Führung von Manfred Weber (CSU) inne, zudem ist er Vizepräsident des Parlaments. Dass der 63-Jährige nun kandidiert, scheint nur logisch. Doch dem Italiener haftet die Abgasaffäre an, von deren Mitwissenschaft er sich vor dem Untersuchungsausschuss des Parlaments nicht völlig freizusprechen wusste.
Gianni Pittella: Noch ein Italiener: Der Mediziner fing klein an – im Gemeinderat seines Geburtsorts Lauria in der süditalienischen Provinz Potenza. Sein politischer Weg führte über die sozialistische Partei in die Partito Democratico, der er bis heute angehört. Seit 1999 sitzt der Sohn eines ehemaligen Senators im Europäischen Parlament, wo er auch bereits das Amt des Vizepräsidenten innehatte. Als Martin Schulz als Präsident wiedergewählt wurde, übernahm Pittella den Parteivorstand. Zum Präsidentschaftskandidaten machte er sich per Akklamation – und zwar eine Woche vor der Wahl des Fraktionsvorsitzenden, die er andernfalls vielleicht nicht gewonnen hätte. Seither knirscht es in der Fraktion, nicht alle sind glücklich mit dem Italiener an der Spitze.
Guy Verhofstadt: Der flämische Belgier und Anwalt hat in dieser Woche wegen eines kontrovers diskutierten Deals von sich reden gemacht. Der Vorsitzende der Liberalen (ALDE), bekannt für seine bisweilen unverblümten Reden im Parlament, dem er seit 2009 angehört, hatte sich auf ein gefährliches Spiel eingelassen. Nach seiner geplatzten Liaison mit der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung des italienischen Komödianten Beppe Grillo, gegen die sich der Fraktionsvorstand aussprach, gelten Verhofstadts Chancen nicht mehr als allzu groß. Dennoch hofft der frühere von 1999 bis 2008 regierende Ministerpräsident Belgiens, der lachende Dritte zu werden: Denn ein Abkommen zwischen den Sozial- und Christdemokraten (EVP) von 2014 hatte einen Wechsel vorgesehen, nach dem ein Kandidat der EVP nun das Amt übernehmen sollte. Doch die „Große Koalition“ gilt als geplatzt, seit Pittella überraschend seine Kandidatur verkündete.