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Schätze des alten Syrien
KulturgeschichteDie Ausgrabung von Qatna ist ein Glücksfall für die Archäologen. Eine Ausstellung in Stuttgart zeigt die ganze Pracht des Königreichs.
Von unserem Redaktionsmitglied Christine Jeske
 |  aktualisiert: 07.11.2019 13:59 Uhr

Alles Flehen war umsonst. Akizzi, der letzte König von Qatna, war verzweifelt. Er bat den ägyptischen Pharao um Hilfe. Vergeblich. Echnaton antwortete nicht. Das Unglück nahm seinen Lauf. Die Hethiter überrannten die reiche Handelsmetropole. Qatna fiel um 1340 vor Christus in Schutt und Asche. Die große Zeit der schillernden Handelsmetropole des alten Syrien, die jahrhundertelang zu den mächtigsten Orten des Vorderen Orients gehörte, war endgültig vorbei.

Für Archäologen ist der Untergang des Stadtkönigreichs ein Glücksfall. Qatna wurde vergessen. Viele kostbare Objekte blieben in den Schuttmassen für Tausende von Jahren verborgen. Im Lauf der Zeit verschwand sogar der Name Qatna aus der Geschichte. Auf seinen Überresten entstand die Ortschaft Mischrife. Erst in den 1920er Jahren hat ein französischer Archäologe den Königspalast wiederentdeckt. Die eigentliche Sensation bahnte sich allerdings erst über sieben Jahrzehnte später an.

Seit 1999 wird die über 100 Hektar große, etwa 180 Kilometer nordöstlich von Damaskus gelegene, annähernd quadratische und mehrstöckige Anlage von einem internationalen Team aus Wissenschaftlern erforscht. Drei Jahre später erfüllte sich der Traum eines jeden Archäologen. Peter Pfälzner von der Universität Tübingen und seine syrischen Kollegen stießen auf einen Schacht beziehungsweise Gang unter den Überresten des bronzezeitlichen Königspalasts. Ist es ein Geheimweg? Ein Keller? Ein Nebeneingang? Für die Antwort mussten sich die Archäologen allerdings gedulden und zuerst den Schutt sorgfältig untersuchen und beseitigen. Dabei kamen 73 Keilschrifttafeln zutage, das Archiv des Palastes. Allein dieser Fund hätte jede Ausgrabung gelohnt. Normalerweise wären die Tontafeln längst zu Staub zerfallen. Aber sie wurden bei der Zerstörung des Palastes durch die Hitze gebrannt und so für die Nachwelt konserviert. Die Glückssträhne der Ausgräber war damit noch nicht zu Ende. Drei Wochen nach Beginn der Freilegung des Ganges öffnete sich ein Spalt im Boden. Die Taschenlampe erhellte eine Felskammer, eine unberührte Königsgruft, in die seit über 3300 Jahren kein Licht gefallen ist und in die kein Grabräuber seinen Fuß gesetzt hat.

Wer selbst einen Blick in die Grabkammer werfen möchte, kann im Württembergischen Landesmuseum in Stuttgart einen Nachbau betreten. Doch zuvor muss der Ausstellungsbesucher – wie einst in Qatna – einen dunklen Korridor hinuntergehen, vorbei an den beiden grauen Basaltfiguren am Eingang der Hauptgruft. Sie wirken wie Grabwächter, sind jedoch königlich gewandet. Ihr Blick geht in die Ferne. Sie wirken über alle Dinge erhaben, sehen feierlich aus und ein wenig unheimlich.

Unheimlich mutet auch der Totenkult der Könige von Qatna an. Die Gruft war nicht versiegelt, wurde vielmehr regelmäßig beim Wechsel der Mondphasen besucht. Die Königsfamilie verließ ihre prächtigen Gemächer und stieg in die Unterwelt hinab, um in düsterer und karger Umgebung mit den Ahnen zu speisen – direkt neben deren Gebeinen, denen die Schädel fehlten. Über den Ursprung dieses seltsamen Rituals gibt es bislang nur Spekulationen.

Insgesamt haben Peter Pfälzner und sein Team in der Grabkammer 2000 Objekte geborgen. Ein Teil ist in Stuttgart zu sehen: kostbare Grabbeigaben, die Kette aus goldenen Melonenperlen, das Löwenkopfgefäß aus baltischem Bernstein, die kunstvoll gearbeitete Schmuckrosette mit Einlagen aus Karneol und Lapislazuli, die einst ein Arm- oder Kopfband schmückte, die hohle Hand aus Goldblech, die wahrscheinlich für kultische Handlungen vorgesehen war, oder die aus Gold gegossenen Entenköpfe, die als Griff eines Schminkgefäßes gedient haben könnten. In der Gruft lagen auch Rollsiegel mit winzigen, sehr fein eingravierten Motiven, ebenso Alabastervasen aus Ägypten, die bereits zum Zeitpunkt der Beerdigung steinalte Antiquitäten waren. Die Funde belegen nicht nur den unermesslichen Reichtum, sondern auch die weitreichenden Kontakte der Geschäftsmetropole. Dort wurde mit begehrten und wertvollen Waren gehandelt: mit edlen Pferden aus eigener Zucht, mit Silber und Gold aus Ägypten und Anatolien, mit Zedernholz aus dem Libanon oder Kupfer aus Zypern.

Voraussetzung für die guten Verbindungen war die günstige Lage am Kreuzungspunkt wichtiger Handelsrouten zwischen Mesopotamien, Ägypten und dem Mittelmeer. Qatnas Könige waren gewiefte Geschäftsleute. Sie besaßen Macht, die sie auch in ihren Bauwerken demonstrierten. Der Königspalast mit mehr als 80 Räumen auf einer Fläche von 18 000 Quadratmetern zählt zu den größten Herrschersitzen seiner Zeit. Allein die Seitenlänge der Audienzhalle misst 36 Meter. Nur vier Stützen, bis zu neun Meer hohe Zedernholzstämme, trugen das Dach. Es war ein Bau der Superlative – bis die Hethiter kamen.

Noch sind nicht alle Geheimnisse des Stadtkönigreiches gelöst. Selbst über die Gründe des Untergangs gibt es viele Vermutungen und keine endgültigen Gewissheiten. Sicher ist jedoch schon jetzt, dass in Qatna weitere Überraschungen warten: Im September 2009 fand Peter Pfälzner die zweite, nicht geplünderte Felsgruft. Dort lagen die Schädel, die in der ersten Grabkammer fehlten.

Im Blickpunkt

Schätze des alten Syrien Bis 14. März sind rund 450 Objekte in der Ausstellung „Schätze des Alten Syrien. Die Entdeckung des Königreichs Qatna“ im Landesmuseum Württemberg in Stuttgart zu sehen. Sie werden erstmals außerhalb Syriens präsentiert. Der begehbare Nachbau der königlichen Gruft sowie ein virtuelles 3D-Modell des Herrschersitzes ermöglichen eine Reise in die Zeit über 3500 Jahre zurück: Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, montags geschlossen, außer an Feiertagen. Info im Internet: www.schaetze-syrien.de

 
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