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MEDINA
Saudi-Arabien und die Terrormiliz Islamischer Staat
Martin Gehlen
 |  aktualisiert: 16.07.2016 03:34 Uhr

Saudi-Arabien steht unter Schock. Noch nie erlebte das Königreich quer durch das Land eine solche Serie zeitlich getakteter Terrortaten, die einem „eine Gänsehaut über den Rücken jagen“, wie der Vorsitzende des Shoura-Parlaments formulierte. Das Abendgebet zum Ramadan-Fastenbrechen in Medina hatte gerade begonnen, als sich der Selbstmordattentäter nahe der Großen Moschee in die Luft sprengte und vier Polizisten mit in den Tod riss.

Meterhoch waren die Flammen zu sehen, schwarzer Rauch stand über dem Gotteshaus, in dem der Prophet Mohammed begraben liegt. Der Terrorist hatte offenbar geplant, sich unter die dicht gedrängte Menge der Beter zu mischen, war den Sicherheitskräften auf dem relativ leeren Vorplatz jedoch aufgefallen. Als sie ihn stellen wollten, zündete der Mann seine tödliche Ladung.

Kurz zuvor hatten sich Gesinnungsgenossen in der Hafenstadt Jeddah nahe dem US-Konsulat sowie in der östlichen Stadt Qatif neben der schiitischen Al-Omran Moschee in die Luft gesprengt. In allen drei Fällen gelang es den Attentätern nicht, bis an ihr eigentliches Ziel heranzukommen.

Ein Netz von Schläferzellen

Auch wenn sich niemand bisher zu den spektakulären Taten bekannte, sie tragen die Handschrift des Islamischen Staats. Offenbar konnte die Terrormiliz in den vergangenen beiden Jahren auch auf der arabischen Halbinsel ein Netz von Schläferzellen etablieren. Erst kürzlich gab das saudische Innenministerium bekannt, man habe in Mekka ein fünfköpfiges IS-Kommando ausgehoben.

Nach Angaben Riads sitzen momentan mehr als 5000 Terrorverdächtige hinter Gittern, darunter 800 IS-Dschihadisten. 3000 Saudis haben sich in Syrien und dem Irak dem „Islamischen Kalifat“ angeschlossen, von denen einige Hundert inzwischen nach Hause zurückgekehrt sind.

Das islamische Establishment des Nahen Ostens reagierte einhellig und empört. Die Kairoer Al-Azhar, die sich als wichtigste sunnitische Lehranstalt rühmt, verurteilte die Angriffe und unterstrich „die Heiligkeit der Gotteshäuser, besonders der Moschee des Propheten“. Saudi-Arabiens Oberster Klerikerrat erklärte, „die Angriffe beweisen, dass die Abtrünnigen alles mit Füßen treten, was heilig ist“.

Ein ambivalentes Verhältnis

Dieser Aufschrei kann jedoch nicht verdecken, dass das Königreich, vor allem seine Predigerkaste, gegenüber dem IS eine ambivalente Haltung einnimmt. Während die Sicherheitskräfte entschieden gegen IS-Verdächtige vorgehen, genießen deren religiös-ideologische Überzeugungen Sympathie unter wahabitischen Gelehrten, deren puritanische Islam-Version Staatsreligion ist. Und so behauptete Khalil Abdullah al-Khalil, ehemaliges Mitglied des Shoura-Rates, gegenüber dem Sender Al Arabiya, 60 Prozent der jungen Saudis seien bereit, sich dem IS anzuschließen.

Andere Studien schätzen, dass fünf Prozent der erwachsenen Saudis mit der Terrormiliz sympathisieren – das sind rund 500 000 Bürger. Sie folgen Predigern wie Scheich Adel al-Kalbani, dem langjährigen Imam der Großen Moschee von Mekka, der regelmäßig Schiiten als Gotteslästerer verunglimpft und dem Großbritannien deshalb die Einreise verweigert. „Wir folgen denselben Gedanken wie der IS, nur praktizieren wir sie in kultivierterer Weise“, brüstete er sich Anfang des Jahres in einem Interview mit dem Sender MBC in Dubai.

 
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