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WÜRZBURG
Sau, gut drauf
Wildschweine: Es geht ihnen prächtig. Sie haben genug Nahrung und können sich vor ihren Jägern sommers wie winters gut verstecken. Und sie setzen immer früher und zahlreicher Nachkommen in den Wald.
Im Matsch       -  Wellness für Wildschweine: Suhlen im Schlammloch! Foto: Horst Ossinger
| Wellness für Wildschweine: Suhlen im Schlammloch! Foto: Horst Ossinger
Von unserem Redaktionsmitglied Tilman Toepfer
 |  aktualisiert: 22.02.2013 17:53 Uhr

Vor 60 Jahren waren Wildschweine in Schleswig-Holstein ausgerottet, auch in Baden-Württemberg und Sachsen gab es fast keine mehr. Selbst vor 30 Jahren waren sie noch relativ selten, im Jagdjahr 1980/81 wurden in ganz Bayern gerade mal 2928 Schwarzkittel geschossen, heute beträgt die „Strecke“ rund das 20fache. Die Borstentiere haben sich explosionsartig vermehrt. Der Grund: Es geht ihnen prächtig. Mittlerweile ist Bayern Schlaraffenland für Wildschweine, vor allem Unterfranken.

„Hauptproblem ist das gute Nahrungsangebot“, sagt Georg Baunach, Schwarzwildbeauftrager der Kreisgruppe Würzburg im Bayerischen Jagdverband (BJV). Durch den Klimawandel gibt es weniger kalte Winter und die Landwirtschaft hat sich sehr zugunsten der Wildschweine verändert. „Wir hatten früher im Wald alle zehn Jahre ein Mastjahr, jetzt haben wir das alle zwei, drei Jahre“, sagt Baunach. Zur reichen Eichelmast kommt, dass immer mehr Mais auf den Feldern steht. Durch das gute Nahrungsangebot setzt die Geschlechtsreife bei Wildschweinen früher ein. Bachen, so heißen die weiblichen Tiere, werden schon mit acht Monaten trächtig, in einem Alter also, in dem sie noch Milchzähne haben und als Frischlinge gelten. „Ein zweijähriges Reh hat ein Junges zur Welt gebracht, die Bache hat im Alter von zwei Jahren schon zehn bis 15 Nachkommen“, so der BJV-Schwarzwildbeauftragte.

Mais ist nicht nur Nahrung. Die meterhohen Pflanzen bieten den wilden Schweinen beste Deckung vor Jägern. Gleiches gilt für den Raps. Die Tiere verbringen Frühling und Sommer in den Feldern und kehren erst im Spätherbst in den Wald zurück. Dort hat die Forstwirtschaft auf naturgemäßen Waldbau umgestellt. Die Verjüngung schafft Dickicht, das bietet Unterstand beziehungsweise Versteck, denn es schränkt die Sicht des Jägers ein. „Man bekommt ein Wildschwein kaum zu Gesicht“, sagt Georg Baunach.

Die Schwarzkittel sind mancherorts zur Plage geworden. Wilde Schweine pflügen Felder um, wühlen in Dörfern und Städten Vorgärten durch und verursachen Verkehrsunfälle zuhauf. Der Schaden ist immens.

Alle Blicke richten sich auf die Jäger. Sollen die doch die Probleme aus der Welt schießen. Wenn es denn so einfach wäre. Die „Strecke“ der getöteten Tiere wächst (siehe Statistik), das Problem aber wird nicht kleiner. Die Sau ist schlau, sagt der Volksmund. Scheinbar gezielt setzt sie vermehrt Nachkommen in den Wald. Auch hier der Grund: das reiche Nahrungsangebot. Es sorgt dafür, dass der Körperfettanteil steigt, und das ist ausschlaggebend für die Pubertät. Mit acht Monaten werden manche Bachen geschlechtsreif.

Kann die Jagd die Population überhaupt eindämmern? „Wenn man gemeinsam an einem Strang zieht, kriegt man das Problem in den Griff“, sagt Georg Baunach. Wenn das nicht gelingt? „Dann wächst uns die Sache vielleicht über den Kopf“, sagt der Jäger. Oswald Rumpel, Leiter der Unteren Jagdbehörde am Landratsamt Würzburg, klingt ein wenig optimistischer. „Auch die Jäger sind schlauer geworden.“ Die Kanzeln seien besser positioniert, die Jägerschaft habe bessere Strukturen geschaffen.

Es geht nur gemeinsam mit der Landwirtschaft, sagt Baunach. Die Bauern müssten Parzellen verkleinern oder Schneisen lassen, sodass der Revierinhaber einen Ansitz reinstellen und jagen kann. Baunach verteidigt auch das Anlocken der Wildschweine durch Fütterung, die sogenannte Kirrung. Soweit der Jäger ein paar Handvoll Futter auslege und nicht gleich mit der Schubkarre komme, sei das kaum zusätzliche Nahrung. Aber ein „optimales Mittel, um die Sauen anzulocken“. Bis zu 70 Prozent der Abschüsse würden durch das Kirren erst ermöglicht. „Ich erwische halt immer nur ein Tier. Wenn's knallt, sind die anderen weg wie der Blitz.“

Baunach verteidigt revierübergreifende Drückjagden, klagt aber über den enormen logistischen und finanziellen Aufwand. „Als Jagdleiter brauche ich eine Genehmigung, die kostet 40 Euro. Dann muss ich Straßen und Wege sperren und brauche die dafür nötigen Schilder und das Personal. Das kostet Geld. Der Jäger ist für alles haftbar, das ist eine Wahnsinnsverantwortung.“ Baunach sieht die Politik in der Pflicht. Manfred Ländner, der CSU-Landtagsabgeordnete aus Kürnach (Lkr. Würzburg) und selbst Jäger, sieht staatlicherseits einiges Entgegenkommen und bei den Gemeinden „eine verstärkte Sensibilität“, wenn es darum gehe, den Jägern bei großen Jagden zu helfen.

Was muss noch getan werden, um das Problem in den Griff zu bekommen? Es gibt Vorstöße, bei der Jagd auf Wildschweine Nachtzielgeräte zuzulassen. Viele Praktiker sind dagegen, Georg Baunach ist einer von ihnen. Dann würde das Wildschwein noch scheuer und „noch mehr zum Nachttier“. Außerdem würde dann auch anderes Wild mit Nachtzielgeräten geschossen.

Wie steht es mit der Anti-Baby-Pille für die Sau? Schlecht. Die Schluckimpfung funktioniert nicht, und um die Schweine zu spritzen, muss man so nahe ran, dass man sie auch gleich erschießen kann, so der Biologe und Wildschweinexperte Oliver Keuling in einem ARD-Beitrag. Außerdem sind Medikamente im Fleisch unerwünscht. „Wildbret ist schließlich ein hochwertiges und gesundes Nahrungsmittel“, sagt Georg Baunach.

Ist die Jagd überhaupt die Lösung des Problems? Nein, sondern seine Ursache, ist in den vergangenen Jahren vermehrt zu hören. Es gibt Studien, die das belegen sollen. In Deutschland gab es noch keine Versuche großflächig auf die Jagd zu verzichten. Bis heute wenigstens.

 
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