75 Tage lang schlug das künstliche Hightech-Herz, von dem sich Mediziner einen bahnbrechenden Fortschritt für schwer Erkrankte erhoffen. Doch am Sonntag ist der 76-jährige Patient, der es in sich trug, im Pariser Krankenhaus Georges-Pompidou gestorben. „Die Gründe dafür können erst nach einer vertieften Analyse der zahlreichen medizinischen und technischen Daten erkannt werden“, erklärte die Klinik dazu. Die Ärzte wollten aber „die Wichtigkeit der Lehren hervorheben, die sie aus diesem ersten klinischen Versuch ziehen können, hinsichtlich der Auswahl des Patienten, der postoperativen Betreuung, Behandlung und Vorsorge“.
Das französische Biomedizin-Unternehmen Carmat, das hinter dem Versuch steht, gab zunächst keinen Kommentar ab. Indem es sich von Beginn an sehr zurückhaltend geäußert und auch keine Fotos veröffentlicht hatte, zeigte es, wie sensibel die erste Testoperation mit dem neuartigen Kunstorgan noch war, das in der Öffentlichkeit als „technologischer Durchbruch“ gefeiert wird.
Die Besonderheit der Erfindung des renommierten Kardiologen Alain Carpentier besteht darin, dass es sich nicht um eine mechanische, sondern eine organische Prothese handelt. Als Imitation des natürlichen Herzens besitzt sie zwei Herzkammern, die das Blut mobilisieren, Mikroprozessoren, die den wechselnden Bedarf der Blutmenge ausrechnen, und Sensoren, die die Pump-Frequenz beschleunigen oder bremsen können. „Wenn der Patient schläft, wird sie verringert. Wenn er Treppenstufen hinaufsteigt, wird sie beschleunigt“, erklärte Carmat-Mitgründer Philippe Pouletty. „Das hat also nichts mit einer mechanischen Pumpe zu tun.“
150 000 Euro pro Herz
Wurden bisher Kunstherzen eingesetzt, um die Zeit bis zu einer Transplantation eines Spenderorgans zu überbrücken, soll es sich bei Carpentiers Erfindung um eine dauerhaft haltbare Prothese handeln. Abgesehen von den Batterien, die an einem Gürtel getragen werden, sei alles integriert, hatte der Kardiologe erklärt. Durch das biosynthetische Material werde eine Abstoßungsreaktion vermieden, was die Gabe von heftigen Medikamenten erspare. Außerdem werde das Risiko von Blutgerinnseln reduziert.
Nachdem die französischen Gesundheitsbehörden Ende des Jahres grünes Licht für zunächst vier Testoperationen gegeben hatten, erhielt der erste, nun verstorbene Patient am 18. Dezember sein Kunstherz. Er litt an einer Herzinsuffizienz im Endstadium. Therapeutische Alternativen gab es für ihn nicht mehr.
Trotz eines zufriedenstellenden Verlaufs der Operation warnte Carmat vor verfrühten Schlüssen, während die französische Gesundheitsministerin Marisol Touraine den „großen qualitativen Sprung“ für die Medizin lobte, durch den sich „sehr schöne Perspektiven eröffnen“. Sollte die Testphase dennoch erfolgreich verlaufen, sind weitere geplante Schritte eine europäische Zulassung und dann eine mögliche Kommerzialisierung bereits ab 2015. Aufgrund des Mangels an Spenderorganen könnten laut Carmat weltweit mehr als 100 000 Menschen pro Jahr auf diese Weise gerettet werden. Der Weltmarkt wird auf 16 Milliarden Euro geschätzt, der Preis für das 900 Gramm schwere Kunstherz bewegt sich um die 150 000 Euro.
Alain Carpentiers letzter Kampf
Zu den Hauptaktionären der 2008 gegründeten Firma gehört neben Kardiologe Carpentier, der knapp ein Drittel der Aktien hält, auch der Rüstungs-, Luft- und Raumfahrtkonzern Airbus Group (früher EADS), bei dessen Ingenieuren er sich für die Entwicklung Hilfe geholt hatte.
Als „meinen letzten Kampf“ hatte der 80-jährige Mediziner das Kunstherz bezeichnet, für den der frühe Tod des ersten Patienten ein Rückschlag ist. Einen Monat nach der Operation hatte es noch über ihn geheißen, er könne sitzen, essen und selbstständig atmen. Nun würdigte ihn die Klinik als einen Mann, „der durch sein Vertrauen, seinen Mut und seinen Willen, einen denkwürdigen Beitrag geleistet hat zu den Bemühungen der Ärzte, gegen eine weit verbreitete Krankheit vorzugehen“.