Fünf Jahre ist es erst her, da setzten die ehemaligen Gegner des Zweiten Weltkriegs auf der Westerplatte ein Zeichen der Versöhnung. 70 Jahre nach Kriegsbeginn stellten 20 Staatsoberhäupter und Regierungschefs dort am 1. September 2009 zum Gedenken an die 60 Millionen Todesopfer Glasgefäße mit Kerzen ab. Unter ihnen: der damalige polnische Präsident Lech Kaczynski, die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und – Russlands Präsident Wladimir Putin.
Auch in diesem Jahr ist Putin am 1. September 2014 auf der Westerplatte allgegenwärtig, auch wenn er gar nicht zu den Anwesenden gehört. Doch diesmal geht es nicht um Putin als Friedenspartner Europas, um Russland als einen der Staaten, die Europa 1945 vom Faschismus befreiten. Der Kremlchef geht eher als Dämon um, der mit seiner Unterstützung der Separatisten in der Ukraine und seinem Großmachtdenken den Frieden bedroht.
Vor fünf Jahren hätten sich die Mächtigen auf der Westerplatte „auf dem Weg zu einem Kontinent der Freiheit und des Friedens gesehen“, sagte Bundespräsident Joachim Gauck am Montag. „Wir glaubten und wollten daran glauben, dass auch Russland, das Land von Tolstoi und Dostojewski, Teil des gemeinsamen Europa werden könne.“
Aus den Worten Gaucks klingt Wut und Empörung über Putin. Wohl niemand habe 2009 geahnt, „wie dünn das politische Eis war, auf dem wir uns bewegen“, sagt Gauck, der ohnehin nicht gerade als Freund Moskaus gilt. Bitter fügt er hinzu: „Wie irrig der Glaube, die Wahrung von Stabilität und Frieden habe endgültig Vorrang gewonnen gegenüber Machtstreben.“ Nun seien Stabilität und Frieden auf dem Kontinent wieder in Gefahr.
Klare Worte
Für einen Bundespräsidenten ungewöhnlich scharf verlangt Gauck von Putin eine Änderung seiner Politik, die Rückkehr zu den Regeln des Völkerrechts. Und er nimmt auch das Wort Verteidigungsbereitschaft in den Mund, die man an die neue Lage anzupassen werde – wieder so ein Signal des Bundespräsidenten, dass Deutschland bereit ist, seiner gestiegenen Verantwortung in der Welt notfalls auch mit Waffengewalt gerecht zu werden.
In Polen, wo Politiker aller Parteien seit Beginn des Ukraine-Konflikts auf eine entschiedene Haltung gegen Russland drängen, werden solche klaren Worte gern gehört. „Wenn wir heute auf die Tragödie der Ukrainer blicken, auf den Krieg im Osten unseres Kontinents, dann wissen wir, dass der September 1939 sich nicht wiederholen darf. Heute ist noch Zeit, denen Einhalt zu gebieten, für die Gewalt zum Arsenal ihres Handelns gehört“, sagte Regierungschef Donald Tusk bereits am Morgen auf der Westerplatte. Es sei nicht die Zeit für schöne Worte und naive Illusionen. „Nie wieder Krieg“ dürfe kein Schlagwort der Schwachen sein.
Auch Polens Staatspräsident Bronislaw Komorowski, der direkt neben Gauck steht, hat in den vergangenen Wochen vor einer nachgiebigen Haltung gegen Russland gewarnt und zusammen mit seinen mitteleuropäischen und baltischen Amtskollegen eine Stärkung der Nato-Ostflanke gefordert. In den Ländern, die einst dem Warschauer Pakt angehörten, sitzt das Misstrauen gegen ein übermächtiges Moskau tief. Zu gut erinnert sich Polen, dass nach den deutschen Truppen Mitte September 1939 auch die Rote Armee in Polen einmarschierte und die Besetzung Ostpolens mit dem Schutz der dortigen weißrussischen und ukrainischen Bevölkerung begründete.
Lehren der Geschichte
Wie nah sich Gauck und Komorowski in ihrer Einschätzung Putins sind, zeigt auch, dass der Deutsche einen Gedanken des Polen aufnahm: Komorowski warnte am Wochenende vor einem neuen russischen „Imperium“ und einer Appeasement-Politik des Westens gegenüber Moskau. Es dürften nicht die Fehler der 1930er Jahre wiederholt werden, als man Hitler nachgegeben und es versäumt habe, „die Gewaltanwendung Deutschlands zu stoppen“. Gauck sagt nun: „Die Geschichte lehrt uns, dass territoriale Zugeständnisse den Appetit von Aggressoren oft nur vergrößern.“ Unausgesprochener Adressat: Wladimir Putin.
Danzig: Deutsche Hansestadt und Polens Wiege der Demokratie
Die Hafen- und Industriestadt Danzig (Gdansk) zählt heute rund 460 000 Einwohner. Die Siedlung an der Ostsee wurde 997 als slawischer Fischerort erstmals urkundlich erwähnt. Im 12. Jahrhundert ließen sich deutsche Kaufleute nieder. Seine Blütezeit erlebte Danzig vom 16. bis 18. Jahrhundert als deutsche Hansestadt, die der polnischen Krone unterstand. 1793 wurde sie preußisch. Nach dem Ersten Weltkrieg kamen die Hauptstadt der deutschen Provinz Westpreußen und ihr Hinterland als „Freie Stadt Danzig“ unter ein Mandat des UN-Vorläufers Völkerbund. Am 1. September 1939 begann mit dem Beschuss des polnischen Stützpunktes Westerplatte bei Danzig der deutsche Angriff auf Polen und damit der Zweite Weltkrieg. Nach 1945 wurden fast alle deutschen Danziger vertrieben, Gdansk wurde von polnischen Neusiedlern übernommen. Der Publizist Adam Michnik nannte die Stadt „die Wiege der polnischen Demokratie“. Hier war der Widerstand gegen das kommunistische Regime besonders stark. 1980 gründete der Arbeiterführer und spätere Präsident Lech Walesa auf der Danziger Lenin-Werft die freie Gewerkschaft „Solidar-noœæ“ (Solidarität). 1988 läuteten dort Streiks den demokratischen Wandel und Regimewechsel ein. Text: dpa