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BERLIN
Rot-rot-grüne Annäherungsversuche
Rot-Rot-Grün       -  Auf einem Parteitag der Grünen in Thüringen tischte die Ökopartei ihren delegierten rot-rot-grüne Götterspeise auf: In dem Bundesland ist eine Koalition aus Linke, SPD und Grünen seit zwei Jahren Realität. Ein Vorbild für den Bund?
Foto: Martin Schutt, dpa | Auf einem Parteitag der Grünen in Thüringen tischte die Ökopartei ihren delegierten rot-rot-grüne Götterspeise auf: In dem Bundesland ist eine Koalition aus Linke, SPD und Grünen seit zwei Jahren Realität.
Martin Ferber
Martin Ferber
 |  aktualisiert: 28.10.2016 03:54 Uhr

Vom Reichstagsgebäude bis zum Roten Rathaus sind es gerade einmal 2,4 Kilometer. Dennoch liegen normalerweise Welten zwischen dem Sitz des Deutschen Bundestags und dem Amtssitz des Regierenden Bürgermeisters von Berlin. Was in der Stadt vorgeht, interessiert die Bundespolitiker nur am Rande.

In diesen Tagen jedoch ist dies völlig anders. Seit den Wahlen zum Abgeordnetenhaus Mitte September blicken die Spitzen aller Parteien mit größtem Interesse auf das Rote Rathaus, allen voran SPD, Grüne und Linke. Denn in der Hauptstadt laufen die Verhandlungen zur Bildung einer rot-rot-grünen Koalition auf vollen Touren und kommen, glaubt man allen Beteiligten, gut voran.

Politische Weichenstellung

Vor allem für die SPD ist die politische Weichenstellung in der Spree-Metropole von höchster Bedeutung. Gut elf Monate vor der Bundestagswahl im kommenden September brauchen Parteichef Sigmar Gabriel und seine Strategen im Willy-Brandt-Haus ein Signal, dass es politische Alternativen zur ungeliebten Großen Koalition mit der Union gibt. Für die SPD wäre es das erste rot-rot-grüne Bündnis unter ihrer Führung, in Thüringen ist sie lediglich Juniorpartner unter Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linken.

Würde im Bund gehen, was in Thüringen und vielleicht in Kürze auch in Berlin möglich ist? Um dies auszuloten, trafen sich im Reichstagsgebäude Bundestags- sowie auch etliche Landtagsabgeordnete der SPD, der Grünen und der Linken, jeweils 30 von jeder Partei, um zum ersten Mal auf offizieller Ebene Kontakte zu knüpfen, Positionen auszutauschen und politische Übereinstimmungen zu finden, aber auch die bestehenden Differenzen zu benennen.

Informelle Treffen einzelner Abgeordneter gibt es dagegen schon länger. In Berlin gibt es mehrere Kreise, in denen Vertreter der drei Parteien ohne feste Tagesordnung und jenseits des Parlamentsbetriebs Gemeinsamkeiten ausloten.

„Demokratie lebt auch von Alternativen“, sagte einer der Initiatoren des Treffens, der Sprecher der Parlamentarischen Linken der SPD, Matthias Miersch. In der Großen Koalition seien die Gemeinsamkeiten „beinahe ausgeschöpft“. Gerade bei den großen gesellschaftspolitischen Fragen gehe mit CDU und CSU „an vielen Stellen nichts mehr“. Ähnlich formulierte es auch SPD-Fraktionsvize Axel Schäfer, der ebenfalls dem linken Flügel seiner Partei angehört. Es gehe darum, sich in Europa klarer gegen Rechts abzugrenzen.

Zudem könnten sich SPD mit Grünen und Linken stärker für soziale Gerechtigkeit einsetzen. So gebe es bei den Themen Vereinbarkeit von Familie und Beruf, gerechteres Steuersystem und mehr Flexibilität beim Übergang vom Arbeitsleben in die Rente durchaus Überschneidungen.

„Demokratie braucht Auswahl“

Deutlich zurückhaltender ist dagegen die Stimmung bei den Grünen. Fraktionschef Anton Hofreiter, der dem linken Flügel seiner Partei zugerechnet wird, bewertete das Treffen positiv. „Demokratie braucht Auswahl.“ Er würde es begrüßen, „wenn bis zur Wahl stabile Brücken gebaut werden können und auch ein Bündnis mit SPD und Linkspartei denkbar wird“. Gleichzeitig hob er aber auch die Unabhängigkeit seiner Partei hervor. Die Grünen setzten auf einen „Kurs der Eigenständigkeit“ mit realistischen Optionen „in die eine, wie in die andere Richtung“.

Dagegen betrachteten die „Realos“, die einem schwarz-grünen Bündnis mit der Union nicht abgeneigt wären, die rot-rot-grüne Annäherung mit Argusaugen. „Nichts gegen Gespräche“, war im Realo-Lager zu hören, gleichwohl gebe es „erhebliche Differenzen“ zu den Linken im Bereich der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. „Mit einer Partei, die Putin verherrlicht, alle Auslandseinsätze der Bundeswehr ablehnt, auch Friedensmissionen, und die Nato abschaffen will, kann man nicht koalieren.“ Zudem hätte Rot-Rot-Grün nach derzeitigen Umfragen gar keine Mehrheit im Bundestag.

Damit trafen die Realos den wunden Punkt bei den Linken. Denn auch dort gibt es nicht nur Anhänger einer rot-rot-grünen Koalition, die intern „R2G“ oder auch „Breilibü“ (breites Linksbündnis) genannt wird, sondern auch entschiedene Gegner.

Während sich die Pragmatiker des rechten Flügels der Partei, die überwiegend aus den neuen Ländern stammen und in Berlin, Brandenburg sowie Mecklenburg-Vorpommern schon praktische Regierungserfahrung als Koalitionspartner der SPD gesammelt haben, für eine Annäherung an SPD und Grüne aussprechen, lehnen dies die Dogmatiker vom linken Flügel kategorisch ab.

Ihre Anführerin ist Sahra Wagenknecht, die mit dem früheren SPD- und Linken-Chef Oskar Lafontaine verheiratet ist. „Rot-Rot-Grün ist im Bund nur bei einem grundlegenden Politikwechsel denkbar“, sagt sie – und fordert von der SPD einen Positionswechsel um 180 Grad. Die Sozialdemokraten sollten sich von der Agenda 2010 verabschieden oder Rüstungsexporte ablehnen. Viele Linke teilen die Position ihrer prominenten Frontfrau.

Umfrage: Rot-Rot-Grün steigt in der Wählergunst

Ein Bündnis aus SPD, Grünen und Linken auf Bundesebene verzeichnet nach einer Umfrage eine leicht gestiegene Zustimmung bei den Wählern. Wie die „Bild“-Zeitung unter Berufung auf den Insa-Meinungstrend berichtet, käme Rot-Rot-Grün auf insgesamt 46 Prozent der Wählerstimmen, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre. Das ist ein Prozentpunkt mehr als in der Vorwoche. Eine absolute Mehrheit erreicht demnach derzeit nur die große Koalition aus CDU (29,5 Prozent) und SPD (21,5 Prozent). Während die Zustimmung für die Union im Vergleich zur Vorwoche unverändert war, büßte die SPD einen halben Prozentpunkt ein. Am meisten verlor die AfD. Sie lag in der Umfrage bei 13,5 Prozent – 1,5 Prozentpunkte niedriger als in der Vorwoche. dpa
 
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