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WÜRZBURG
Rot-Rot-Grün: Der Funke Hoffnung
Tilmann Toepfer
Tilman Toepfer
 |  aktualisiert: 16.03.2017 03:41 Uhr

Nehmen wir einfach mal an, am Abend des 24. September 2017 herrscht Jubel bei SPD, bei Bündnis 90/Die Grünen und bei der Partei Die Linke. Der 19. Bundestag ist gewählt und die drei Parteien haben zusammengerechnet eine solide Mehrheit. Was dann? Werden sich SPD, Linke und Grüne aufmachen und mit dem Genossen Martin Schulz als Kanzler eine soziale Alternative zur aktuellen Politik hinbekommen? Rot-Rot-Grün oder R2G ist alles andere als selbstverständlich. Das zeigten vorgezogene „Koalitionsverhandlungen“ in Würzburg.

Koalitionsverhandlungen? Das war der Scherz des Abends, auch wenn viele der etwa 60 Zuhörer meist älteren Semesters im „Blauen Adler“ sich nichts sehnlicher wünschen dürften als die Alternative zur von ihnen als neoliberal empfundenen Politik. Natürlich war die Diskussionsrunde im „Adler“ nur ein Abtasten der jeweiligen Positionen. Sie kam auf Einladung des DGB zustande und wurde vom Gewerkschaftssekretär Norbert Zirnsak geschickt moderiert. Spannend war der Abend allemal. Und erhellend. Schließlich sorgt auch ein Fünkchen Hoffnung für Helligkeit.

Gespräche auf Augenhöhe

Susanne Henning-Wellsow ist Fraktionsvorsitzende der Linken im Thüringer Landtag und hat als Einzige Erfahrung im R2G-Regieren. Drei Faktoren seien für das gute Miteinander von Rot-Rot-Grün in Erfurt wichtig: die große gemeinsame Schnittmenge, Gespräche auf Augenhöhe und ein gutes menschliches Miteinander der Koalitionäre.

In Hessen ist das Projekt schon einmal gründlich misslungen. Andrea Ypsilanti wollte 2008 mit R2G Wiesbaden regieren und scheiterte bekanntlich grandios. Ungeachtet dessen lobt die Landtagsabgeordnete heute noch die sehr gute Erfahrung. Auch in Würzburg zeigte sie sich überzeugt, dass man der Krise in Europa und dem Rechtspopulismus nur eine linke Antwort entgegensetzen kann, ja muss. Rot-Rot-Grün ist heute kein Tabubruch mehr, da hat Ypsilanti recht. Aber die Hürden für ein solches Bündnis im Bund sind hoch. Unter dem Druck einer starken Zivilgesellschaft ließen sie sich überwinden, meint die linke Sozialdemokratin. Die Hessin rätselt wie viele Sozialdemokraten, welche Richtung ihre Partei mit Martin Schulz an der Spitze einschlagen wird. In einem Interview mit „Deutschlandradio Kultur“ im Januar hatte sie kritisiert, die SPD habe es versäumt, während der Großen Koalition über diese Zeit hinauszudenken.

Ypsilanti jedenfalls wünscht sich eine „echt andere Politik“ für das Land.

Und Manuela Rottmann? Die Spitzenkandidatin der unterfränkischen Grünen hat als hauptamtliche Dezernentin für Umwelt und Gesundheit in Frankfurt eine schwarz-grüne Vergangenheit. Auch sie wünscht sich Klarheit über den Kurs der SPD. Die Linkspartei nannte sie in Würzburg eine „in manchen Teilen schwarze Kiste“. Man wisse nicht, was drin sei. Die Linken-Frau mag sich ihren Teil gedacht haben: Die „grüne Kiste“ ist voller Realo-Inhalte, und so scheint eine Koalition der Grünen mit der Union nach der Wahl derzeit wahrscheinlicher als ein Linksbündnis.

Jedenfalls wurde deutlich, dass die Grüne nicht gekommen war, um mit den beiden Genossinnen an einem Strang nach links zu ziehen. Ypsilanti und Hennig-Wellsow sprachen sich für eine Vermögenssteuer aus, Rottmann warnte, man dürfe die Globalisierung nicht ausblenden und angesichts von Rekordeinnahmen des Staates nicht die Steuern weiter erhöhen. Die Genossinnen plädierten für Umverteilung als Kern eines künftigen R2G-Projekts, Rottmann möchte lieber prüfen, ob die Arbeit der Jobcenter taugt.

„Auch wenn das keine so glamouröse Frage ist wie die, wie ich den Kapitalismus auf den Kopf stellen kann“, so die Grüne.

Rottmann widersprach auch, als der unterfränkische DGB-Regionalgeschäftsführer Frank Firsching die Verstaatlichung des Gesundheitssystems forderte. Sie will für den Erhalt kommunaler Kliniken kämpfen und fordert gesetzliche Regelungen, dass Kindernotambulanzen und Intensivbetten auch auf dem Land in ausreichender Zahl und möglichst geringer Entfernung erhalten bleiben. Die Thüringer Fraktionschefin der Linken sprang der Grünen zur Seite. „Das Gesundheitssystem muss demokratisch kontrolliert, nicht notwendigerweise verstaatlicht werden.“

Was bringt Rot-Rot-Grün den Beschäftigten? Diese Frage zog sich wie ein roter Faden durch die Veranstaltung, allerdings waren die Antworten eher vage. Jeder der Diskussionsteilnehmer hat seine eigenen Schwerpunkte und Vorstellungen, das wurde schnell klar.

Hennig-Wellsow lobte das Bildungsfreistellungsgesetz für Thüringen und Arbeitsprogramme für mehr öffentliche Beschäftigung, Ypsilanti wünscht sich eine „sanktionsfreie Grundsicherung“ für Menschen, die sich nicht in den Arbeitsmarkt integrieren lassen.

Beschäftigte entlasten

Allgemeine Zustimmung fand die Forderung des Gewerkschafters Helmut Radler, die Arbeit in Gesundheits- und Pflegeberufen müsse besser wertgeschätzt und bezahlt werden. Ver.di-Sekretär Stefan Kimmel formulierte es drastischer. Die Beschäftigten in den genannten Branchen müssten dringend entlastet werden.

Für fast alle Redebeiträge gab es reichlich Beifall. Ein wenig verdeckte das den Eindruck, dass die Vorstellungen von SPD, Grünen und Linken in Sachfragen teilweise weit auseinanderliegen. Viel Arbeit also für die, die über eine rot-rot-grüne Koalition verhandeln müssten, sollte es je dazu kommen. Dann, das wurde im „Blauen Adler“ deutlich, würde viel guter Wille nötig sein, um die größere gemeinsame Schnittmenge zu finden. Die Verhandlungen müssten auf Augenhöhe stattfinden und die Chemie müsste stimmen. Ein schwieriges Unterfangen also, aber kein unmögliches.

Schließlich hätte eine deutlich andere Politik – auch in Sachen Krieg und Frieden, bei Waffenexporten und Auslandseinsätzen – Auswirkungen weit über Deutschland hinaus. Andrea Ypsilanti brachte es auf den Punkt: „Deshalb ist diese Wahl für Europa besonders wichtig.“

 
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