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Rom im Visier des IS-Terrors
Entsetzt: Angehörige der vom IS ermordeten koptischen Christen in Libyen
Foto: Mohamed El-Shahed, afp | Entsetzt: Angehörige der vom IS ermordeten koptischen Christen in Libyen
Julius Müller-Meiningen
 |  aktualisiert: 16.02.2015 19:20 Uhr

„Noch habe ich keine Angst“, sagt Giovanni Innocenzo Martinelli. „Aber ich weiß, dass der Moment kommen wird, in dem ich Angst haben werde.“ So beschreibt einer der letzten in Libyen verbliebenen Europäer seine Gefühle. Der italienische Bischof von Tripolis will trotzdem bleiben. Er hatte es mit Hinweis auf 300 in der Hauptstadt ausharrende philippinische Christen am Sonntag abgelehnt, das Land zu verlassen. Das italienische Außenministerium sorgte dafür, dass rund 60 seiner Staatsbürger, darunter der Botschafter in Tripolis, am Montag zurück nach Italien kamen. Damit ist auch die letzte Botschaft eines europäischen Landes in Libyen geschlossen.

„Der Vormarsch des Kalifats in Libyen verstärkt alle Risiken.“
Italiens Innenminister Angelino Alfano

Der Vormarsch der Extremisten des Islamischen Staats (IS) in Libyen besorgt insbesondere die Mittelmeerstaaten Italien und Frankreich. Italien sei bereit, eine Koalition gegen das Vordringen des Kalifats zu führen, „das nur noch 350 Kilometer von unseren Küsten entfernt ist“, sagte die italienische Verteidigungsministerin Roberta Pinotti. Nach der Enthauptung von 21 ägyptischen Geiseln durch Mitglieder des IS droht die Lage in Libyen weiter zu eskalieren.

Am Montag flog die Luftwaffe Ägyptens Vergeltungsangriffe auf Ziele in den Städten Derna, Bengasi und Sirte. Dabei sollen bis zu 50 Dschihadisten getötet worden sein, aber auch mehrere zivile Opfer, darunter drei Kinder. Nach offiziellen Angaben hätten die Angriffe Waffenlagern und Kommunikationszentren der Terroristen gegolten. Auch Teile des libyschen Militärs beteiligten sich an den Angriffen. Angesichts der neuen Bedrohung drängte neben Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi am Montag auch der französische Präsident François Hollande auf eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats.

In einem am Sonntag veröffentlichten Video ist die Enthauptung der 21 Kopten zu sehen, die als Gastarbeiter nach Libyen gekommen waren und dort Anfang Januar entführt wurden. „Gestern habt ihr uns auf einem Hügel in Syrien gesehen, heute stehen wir südlich von Rom“, sagt ein Terrorist in dem Video. Zu sehen ist in dem Film auch, wie sich das Meer nach der Tötung der Geiseln rot färbt. „Wir werden das Meer mit eurem Blut tränken“, heißt es an den Westen gerichtet. Als Urheber des Videos firmiert eine Gruppe namens „Islamischer Staat der Provinz Tripolis“. Der Film trägt den Titel: „Eine in Blut geschriebene Nachricht an die Nation des Kreuzes“.

Während die Terroristen des Islamischen Staates bislang vor allem Gebiete in Syrien und im Irak kontrollieren, sind sie nun auch in Libyen auf dem Vormarsch. Seit den Luftangriffen auf das Regime von Diktator Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 rivalisieren dort zahlreiche Gruppen um die Macht. In dieses Vakuum sind nun offenbar die Islamisten vorgestoßen, insbesondere die 7000 Kämpfer umfassende Gruppe An-shar al Sharia. Die Dschihadisten kontrollierten nicht nur die Stadt Derna, sondern auch Bengasi und Sirte. Auch in Tripolis seien die Terrormilizen auf dem Vormarsch, bestätigte Bischof Martinelli. „Ich sehe eine finstere Zukunft“, sagte er.

Abdullah al Thani, Premierminister der von der internationalen Gemeinschaft anerkannten libyschen Regierung, forderte eine größere militärische Intervention gegen die Dschihadisten, „andernfalls breitet sich die Bedrohung in europäischen Ländern, besonders in Italien aus“. Italien sieht sich nun in verschiedener Hinsicht bedroht. Zum einen fürchten offizielle Stellen, die Situation in Libyen könnte zu einem noch größeren Exodus führen. Nach Geheimdienstangaben warten rund 200 000 Flüchtlinge in Libyen auf die Überfahrt nach Italien. Am Wochenende wurden über 2100 Ankömmlinge in Italien gezählt. Sorge wurde auch darüber geäußert, unter den Flüchtlingen könnten sich Dschihadisten verstecken. Nach der Eroberung der Stadt Sirte Ende vergangener Woche hatte ein IS-Kämpfer auf Twitter geschrieben: „Eine Scud-Rakete kann Italien erreichen.“

„Der Vormarsch des Kalifats in Libyen verstärkt alle Risiken“, sagte Innenminister Angelino Alfano. Es sei gefährlich, wenn die Milizen „schneller vorankämen als die Entscheidungen der internationalen Gemeinschaft“. Die libysche Frage sei zentral für den Westen.

Islamischer Staat in Libyen

Im Arabischen Frühling kam es im Februar 2011 auch in Libyen zum Bürgerkrieg. Aufständische versuchten den Diktator Muammar al Gaddafi zu stürzen. Dies gelang erst mithilfe westlicher Luftangriffe. Am 20. Oktober 2011 wurde Gaddafi getötet. Seither streiten Milizen in Libyen um die Vorherrschaft.

11. September 2012: Kämpfer der Terror-Miliz Ansar al Sharia töten bei einem Angriff auf das US-Konsulat in Bengasi vier Menschen, darunter den US-Botschafter Christopher Stevens. Ansar al Sharia bezeichnet sich selbst als ein libyscher Ableger des IS.

Juli 2014: Die meisten Botschaften in Libyen schließen, die UN bringen ihr Personal in Sicherheit. Ansar al Sharia kontrolliert nun auch weite Teile von Bengasi.

Oktober 2014: Die Terror-Milizen erobern den Hafen von Derna.

27. Januar 2015: Bei einem Überfall der Terroristen auf das Hotel Corinthia in Tripolis sterben neun Menschen.

Zuvor hatten islamistische Terroristen 21 ägyptische Gastarbeiter koptisch-orthodoxen Glaubens gefangen. In einem am 15. Februar veröffentlichten Video wird die Hinrichtung der Männer gezeigt. Als Urheber firmiert eine Gruppe namens „Islamischer Staat der Provinz Tripolis“. Text: dpa

 
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