Lange stand Raúl Castro im Schatten seines übermächtigen Bruders Fidel. Wenn er sich im kommenden April wie angekündigt von der Spitze des kubanischen Staates zurückzieht, wird das 86-jährige Staatsoberhaupt trotzdem ein ganzes Jahrzehnt die Geschicke der Karibikinsel bestimmt haben. Seit 2008 ist der überzeugte Kommunist Präsident des Staats- und des Ministerrates der Republik Kuba, drei Jahre später übernahm er auch noch das Amt des Ersten Sekretärs des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei von seinem Bruder. Eine fast totale Machtfülle.
In Kuba kommt noch eine weitere Bezeichnung hinzu, die im Ausland oft unter den Tisch fällt: Raúl Castro ist auch Armeegeneral. Nicht wenige Kritiker bezeichnen Kubas Regime wegen seiner engen Verzahnung mit der Armee als Militärdiktatur.
Obwohl sein Bruder Fidel 40 Jahre lang auf Kuba regierte, hat auch Raúl seine Spuren in den kubanischen Geschichtsbüchern hinterlassen. Da ist die erfolgreiche Vermittlung Havannas bei den kolumbianischen Friedensgesprächen. Und da ist die historische Annäherung zwischen Washington und Havanna. Das politische Tauwetter half bislang vor allem der kubanischen Tourismusindustrie. Doch der seit einem Jahr regierende US-Präsident Donald Trump zog die Daumenschrauben wieder etwas an, auch weil Kuba bislang keinerlei Anstrengungen zeigt, der Opposition im Land demokratische Grundrechte zuzugestehen.
Raúl Castro blieb der gnadenlosen Linie seines Bruders gegenüber Regimekritikern treu. Bis heute lässt er den Inlandsgeheimdienst mit aller Härte gegen jene Kräfte vorgehen, die sich nicht stromlinienförmig den mächtigen Eliten unterwerfen. Die Hoffnung auf eine innenpolitische Öffnung, die viele Kubaner mit der Annäherung an Washington verbanden, erfüllte sich nicht.
Im neuen Jahr wird nun ein Nachfolger für den 86 Jahre alten General gewählt. Mit etwas Verspätung wegen der Schäden von Hurrikan Irma, so die offizielle Begründung. Die schleppenden Reparaturarbeiten haben auf Kuba unter weiten Teilen der Bevölkerung Verärgerung ausgelöst. Das besorgt Kubas Kommunisten.
Wie Fidel gehörte auch Raúl Castro zu den Revolutionären der ersten Stunde auf Kuba. Als Comandante kämpfte er an der Seite seines Bruders, des Comandante en jefe (Oberkommandierenden), gegen das Batista-Regime. Dabei machte er sich durch seine Härte einen Namen: Verräter und Deserteure ließ er erschießen. Auf der anderen Seite gilt Raúl Castro als Familienmensch. Mit seiner Frau Vilma Espín, die 2007 starb, bekam er vier Kinder. Anders als sein Bruder brach er auch die Kontakte zu Verwandten nicht ab, die nach Florida oder Spanien auswanderten.