Das UN-Tribunal für Jugoslawien hat Ratko Mladic, genannt „Schlächter vom Balkan“, zu lebenslanger Haft verurteilt. 22 Jahre nach dem Ende des Bürgerkrieges geht damit die rechtsstaatliche Aufarbeitung der schlimmsten Massenmorde seit 1945 zu Ende.
Wer das Leid dieser Jahre zwischen 1992 und 1995 noch einmal erspüren will, darf an diesem Mittwoch nicht im Gerichtssaal des Internationalen Strafgerichtshofes Platz nehmen. Nebenan, in einem eigenen Raum mit Direktübertragung, sitzen sie, die Frauen von Srebrenica. Jede von ihnen hat mindestens einen Menschen verloren, damals im Juli 1995, als Ratko Mladics Serben-Truppe 8000 gefangene bosnische Muslime ermordete.
Einige der Zeugen und Beobachter sind aus Sarajewo gekommen, der bosnischen Hauptstadt, die in diesen Kriegsjahren unter Dauerbeschuss von serbischen Scharfschützen lag. Rund 10 000 Menschen verloren dort ihr Leben. Am schlimmsten Tag der Belagerung fielen allein rund 4000 Granaten auf die einstige Olympiastadt.
„Das Gericht verurteilt den Angeklagten zu einer lebenslangen Haftstrafe“, sagt der Vorsitzende Richter, der Niederländer Alphons Orie, an diesem Mittwoch. Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen hat die Anklage aufgelistet. Ein weiteres, vielleicht letztes Mal bäumt sich der inzwischen 74-jährige Mladic auf, schreit „Sie lügen, Sie lügen“ in den Saal, wird von Sicherheitsleuten abgeführt. Den Urteilsspruch bekommt er später zu hören.
„Die Strafe fühlt sich richtig an, aber die Trauer macht es nicht leichter“, sagt die 63-jährige Mrija nach dem Richterspruch. Sie stammt aus Sarajevo. Ihr Mann wurde von Mladics Schergen erschossen, ihre Tochter nahm sich das Leben, nachdem sie in einem der von den Serben eingerichteten Vergewaltigungslagern monatelang missbraucht worden war. Ihr Sohn starb als Widerstandskämpfer. „Ich wollte es dennoch sehen. Ich musste wissen, dass es doch noch so etwas wie Gerechtigkeit gibt.“
Ende des Verfahrens gefordert
Fünf Jahre hatte sich der Prozess hingezogen, immer wieder unterbrochen von Anträgen der Verteidigung, die sogar ein Ende des Verfahrens forderten, weil Mladic nach mehreren Hirnschlägen und zwei Infarkten vor seiner Verhaftung 2011 und einer Krebsbehandlung 2009 angeblich nicht verhandlungsfähig gewesen sei. Noch an diesem Mittwoch hatte Mladics Anwalt beantragt, die Verlesung des Urteils abzukürzen, da der Serbe unter extremem Bluthochdruck leide. Doch die Richter ließen sich nicht beeindrucken und wickelten den Prozess bis zum Schluss ordnungsgemäß ab.
Es wird ihr letztes großes Verfahren gewesen sein. Nach 24 Jahren stellt der Hof nun seine Arbeit ein, eine stark verkleinerte Instanz soll eventuell noch laufende Berufungen abwickeln – dazu dürfte wohl auch noch die von Ratko Mladic kommen. Reue oder gar Buße – darauf hatten die Angehörigen der Opfer in Den Haag vergeblich gewartet. „Ich schlafe ruhig“, sagte Mladic einen Tag vor dem Urteil einer Belgrader Boulevard-Zeitung.
Der beschuldigte selbst sagte wenig, seine Verteidiger bemühten sich, die vorgelegten Beweise zu zerpflücken und die 377 angehörten Zeugen zu verunsichern. Dabei waren die Belege gegen den obersten General der serbischen Armee erdrückend. Am Tag vor dem Massaker von Srebrenica ließ sich Mladic sogar von einem Kameramann begleiten und sagte in die laufenden Mikrofone: „Hier sind wir im serbischen Srebrenica. Kurz vor einem großen serbischen Festtag übergeben wir dem serbischen Volk diese Stadt. Die Zeit ist gekommen, an den Muslimen Rache zu nehmen.“ Die Angriffe auf Sarajevo befahl er in einem Gespräch mit einem Untergebenen, von dem eine Aufzeichnung existiert, mit den Worten: „Beschießt sie, bis sie wahnsinnig werden.“