Der Mann, der gerade dabei ist, ein politisches Erdbeben in der Bundesrepublik auszulösen und ein Stück Geschichte zu schreiben, ist die Ruhe und Gelassenheit in Person. Zumindest nach außen. Bodo Ramelow, langjähriger Oppositionsführer im Thüringer Landtag, steht fast drei Monate nach den Landtagswahlen nur noch einen Schritt vor seinem Ziel.
Am heutigen Freitag will er als erster Politiker der Linkspartei zum Ministerpräsidenten eines deutschen Bundeslandes gewählt werden, mit den Stimmen der Linkspartei, der SPD und der Grünen, die nur eine Stimme Mehrheit haben. Ein Risiko, denn die Wahl ist geheim.
Doch Ramelow ist zuversichtlich, dass es klappt. „Es gibt keinen Grund für den leisesten Hauch von Pessimismus“, sagt er. „In Niedersachsen regiert Rot-Grün auch nur mit einer Stimme Mehrheit.“ Bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages am Donnerstag in Erfurt blickt er optimistisch auf den Wahltag: „Es wird politisch nichts schiefgehen.“ Und danach werde sofort regiert.
Widerstand in Thüringen
Doch in Thüringen rumort es. Dass ausgerechnet 25 Jahre nach dem Mauerfall die politischen Nachfahren der SED, die in der DDR ein autokratisches Regime errichtet hatte sowie für Mauer und Stacheldraht verantwortlich waren, wieder an die Macht kommen, spaltet das Land in der Mitte Deutschlands. Am Donnerstag veröffentlichten mehrere Träger des thüringischen Landesverdienstordens einen Aufruf „gegen Rot-Rot-Grün“.
Bei den Thüringer Linken handele es sich „nicht um eine erneuerte Partei“, schreiben sie, darunter auch der frühere SPD-Landeschef und stellvertretende Ministerpräsident Gerd Schuchardt. „Unter den 28 Abgeordneten sind 16 ehemalige SED-Funktionäre, unter ihnen Stasi-Zuträger und ein ehemaliger Offizier der DDR-Grenztruppen.“ Und weiter: „Wir wollen nicht, dass uns diese Menschen regieren.“ Am Abend gab es vor dem Erfurter Landtag zudem eine Demonstration gegen die rot-rot-grüne Koalition und die Wahl eines Linken zum Ministerpräsidenten. Ramelow selber, geboren in Niedersachsen, groß geworden in Hessen, kam erst nach der Wende als Sekretär der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen nach Thüringen und zog erstmals 1999 für die PDS in den Landtag an. Er gilt als Pragmatiker. Zwei Abgeordnete der Linkspartei hingegen sind stasibelastet. Frank Kuschel war seit 1988 unter dem Decknamen „Fritz Kaiser“ Inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, Ina Leuke-feld unter dem Decknamen „Sonja“ seit Mitte der 80er Jahre Inoffizielle Kriminalpolizeiliche Mitarbeiterin. Beide sitzen seit 2004 im Parlament, ein Landtagsgremium stufte beide als „parlamentsunwürdig“ ein, wogegen beide klagten. Im Falle Leuke-felds wurde die Beurteilung aufgehoben, da die Kriminalpolizei zwar als stasinah gelte, im entsprechenden Gesetz aber nicht erwähnt werde. In den Koalitionsverhandlungen drängten SPD und Grüne darauf, dass die beiden kein Amt erhalten.
Bei der Wahl zum Ministerpräsidenten benötigt Bodo Ramelow im ersten und in einem möglichen zweiten Wahlgang die Stimmen aller 46 Abgeordneten von Linkspartei, SPD und Grünen, um die erforderliche absolute Mehrheit zu erreichen. Im dritten Wahlgang reicht hingegen die einfache Mehrheit. Unter Juristen ist allerdings umstritten, was dies konkret bedeutet.
Streit über Wahlrecht
Nach einem Gutachten des Düsseldorfer Verfassungsrechtlers Martin Morlok zählen nur die Ja-Stimmen, Ramelow könnte somit, sollte es keinen Gegenkandidaten geben, theoretisch mit nur einer einzigen Stimme zum Regierungschef gewählt werden. Der von CDU-Landtagspräsident Christian Carius beauftragte frühere Direktor beim Bundestag, Wolfgang Zeh, vertritt hingegen die Auffassung, dass Ramelow in jedem Falle mehr Ja- als Nein-Stimmen benötige. Sei dies nicht der Fall, bliebe Noch-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht weiter geschäftsführend im Amt.
Die CDU will erst heute entscheiden, ob sie in einem möglichen dritten Wahlgang einen Gegenkandidaten gegen Ramelow aufstellt. CDU-Generalsekretär Peter Tauber warnte seine Parteifreunde in Thüringen allerdings bereits davor, sich auf die Stimmen der AfD zu verlassen. Ein Ministerpräsident von der CDU dürfe „nie“ von der AfD abhängig sein. Tauber verwies dabei auf einen entsprechenden Beschluss des CDU-Bundesvorstands, dem auch der thüringische CDU-Fraktionschef Mike Mohring angehöre. Die amtierende Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht von der CDU hat bereits angekündigt, dass sie auf keinen Fall gegen Ramelow an- und auch von ihrem Amt als Parteichefin zurücktreten wird.