
Schlag auf Schlag kommen die militärischen Schritte des Kreml-Chefs Wladimir Putin im Syrienkrieg. Erste russische Kampfjets bombardieren am Mittwoch in Nahost nach Moskauer Darstellung Positionen der Terrorschergen des Islamischen Staates (IS). Mit der Erlaubnis des Föderationsrates für eine Intervention in Syrien stellt Putin den Westen vor vollendete Tatsachen. Die USA schauen mit Argwohn zu und müssen sich damit arrangieren. „Wir wollen in diesem Konflikt natürlich nicht alle Register ziehen“, sagt der russische Präsident. Demonstrativ zurückhaltend wirken Putins Worte bei einer im Staatsfernsehen gezeigten Beratung mit Regierungsvertretern in seiner Vorstadt-Residenz bei Moskau.
Zur selben Zeit fliegen in Syrien bereits die ersten russischen Bomben. Nur am Kampf gegen Terrorgruppen sollten sich die russischen Jets beteiligen, betont Putin. Der Westen befürchtet, dass dabei auch die Kräfte der gemäßigten Opposition zu Schaden kommen könnten. Das syrische Regime bezeichnet die vom Westen geförderten Rebellen ebenso wie den IS als „Terroristen“.
„Unsere Unterstützung kommt nur aus der Luft, ohne Beteiligung von Bodentruppen“, betont Oberbefehlshaber Putin. Die russische Bevölkerung sieht das Engagement in Nahost skeptisch – auch vor dem Hintergrund der Ukrainekrise. Tief eingebrannt hat sich zudem die Erinnerung an den Albtraum des Krieges in Afghanistan (1979 bis 1989). Damals starben Tausende sowjetische Soldaten in den afghanischen Bergen.
Dennoch: Nach seiner von Beobachtern als reichlich unkonkret bewerteten Rede bei der UN-Vollversammlung schreitet Putin zur Tat. Beständig hatte er in den vergangenen Wochen mit Forderungen nach einer umfassenden Allianz gegen den IS und Waffenhilfe für seinen Partner Präsident Baschar al-Assad Spekulationen über eine bevorstehende Intervention befeuert.
Für US-Präsident Barack Obama dürfte Moskaus rasches Handeln eine Überraschung sein, auch wenn Washington schon lange klar ist, dass Moskau Damaskus stützen wird. Erst am Montag hatte Obama eine Dreiviertelstunde mit Putin über Syrien beraten. Danach war von Militärabsprachen auf „praktischer, taktischer Ebene“ die Rede. Denn auch eine US-geführte Koalition fliegt seit einiger Zeit Luftangriffe in Syrien.
Ein „direkter Draht“ sollte daher eingerichtet werden. „Wir wollen nicht, dass ein Unfall passiert“, erklärte Pentagonsprecher Peter Cook. Wenn Kampfflugzeuge der USA und Russlands über Syrien rauschen, soll vermieden werden, dass heikle Manöver und mangelnde Absprachen die Atommächte aneinandergeraten lassen.
„Russland und die USA haben sich – möglicherweise stillschweigend – geeinigt, sich in Syrien nicht gegenseitig zu stören“, schreibt Fjodor Lukjanow, Herausgeber der russischen Zeitschrift „Russia“ in „Global Affairs“. „Das Ergebnis mag sehr bescheiden sein, aber in diesen Zeiten ist das ein Erfolg“, meint er.
Putin hatte die Luftangriffe der US-Koalition auf die Islamisten mehrfach als ineffektiv abgetan. Zudem wirft er den USA vor, mit eigenmächtigen Handlungen das Völkerrecht zu brechen.
Nun schickt Putin selbst Militärjets in den Kampf – auf Bitten Assads, wie Putins Vertrauter Sergej Iwanow im Staatsfernsehen sagt. Von Zusammenarbeit konnte nach den ersten russischen Angriffen keine Rede sein. Stattdessen forderte ein russischer General die USA – vergeblich – auf, ihre Flugzeuge aus Syrien abzuziehen.
Doch der Langzeit-Kampf gegen die Terrormiliz IS ist kein Kinderspiel, und Putin könnte bald ernüchtert feststellen, worauf er sich eingelassen hat. Von einem „furchtbaren strategischen Fehler“ und vom „Sumpf“ in Syrien spricht Obamas Sicherheitsberater Tony Blinken in der Zeitung „Daily Beast“.
Ein anderer Regierungsvertreter sagt: „Wenn er sich in dieses Schlamassel stürzen will, viel Glück.“ Die Amerikaner sprechen da aus Erfahrung.
Allianzen in den arabischen Bürgerkriegsländern
In den Bürgerkriegsländern der arabischen Welt haben sich äußerst unterschiedliche Allianzen gebildet. Die Lage ist wegen der großen Anzahl der Akteure kompliziert. Ein Überblick:
In Syrien ist einer der Hauptakteure das Regime in Damaskus. Wichtigste Partner von Präsident Baschar al-Assad sind der schiitische Iran und Russland. Teheran finanziert die libanesische Schiitenmiliz Hisbollah, die in Syrien an der Seite des Regimes kämpft. Auch die von Schiiten dominierte Regierung im Irak gilt als Partner Assads. Gegen Assads Regierung kämpfen mehrere meist religiös motivierte Rebellengruppen. Gefördert werden sie vor allem von den sunnitischen Ländern Türkei, Saudi-Arabien und Katar. Der Westen steht auf der Seite gemäßigter Rebellen, die als Opposition bezeichnet werden und nur mäßigen Einfluss auf das Kriegsgeschehen haben. Zu den militärisch erfolgreichsten Rebellen zählt die Al-Nusra-Front, Ableger des Terrornetzwerks El Kaida. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hat ein großes Gebiet in Syrien und im Irak erobert und dort ein Kalifat ausgerufen. Sie ist sowohl mit dem syrischen Regime verfeindet als auch mit den meisten Rebellengruppen.
Das gilt auch für die Nusra-Front, obwohl beide eine ähnliche Ideologie haben. Auch der Westen und Russland betrachten den IS als bedrohlichen und daher zu bekämpfenden Feind. Die Volksschutzeinheiten der Kurden (YPG) beherrschen im Norden Syriens große Gebiete. Sie bekämpfen den IS. Dabei kooperieren sie örtlich sowohl mit Rebellen als auch mit der syrischen Armee. Unterstützt werden sie von der internationalen Allianz. Die Türkei ist zwar Partner des Bündnisses, will aber verhindern, dass die Kurden ihre Macht in Syrien ausbauen. Denn Ankaras Hauptfeind ist die kurdische Arbeiterpartei PKK, die eng mit der YPG verbunden ist.
Im Irak kämpft die irakische Armee an mehreren Fronten gegen den IS. Unterstützt wird sie von Militärberatern der USA und von Luftangriffen der US-geführten internationalen Allianz. Die Armee kämpft aber auch Seite an Seite mit Schiiten-Milizen, die von Teheran finanziert werden und das US-Engagement im Irak scharf ablehnen. Die Kurden genießen im Nordirak Autonomie und sind zum wichtigsten Verbündeten des Westens geworden. Deutschland und andere Staaten bilden die kurdischen Peschmerga für den Kampf gegen den IS aus. Das Verhältnis der Kurden zur Zentralregierung in Bagdad ist angespannt.
Im Jemen haben schiitische Huthis in den vergangenen Monaten große Teile des Landes überrannt. Gegner der Rebellen werfen ihnen vor, sie würden vom Iran unterstützt. Verbündet sind die Huthis mit den Anhängern des früheren Präsidenten Ali Abdullah Saleh. Ein Bündnis aus Saudi-Arabien und mehreren arabischen Staaten bombardiert seit März Stellungen der Rebellen. Sie unterstützen damit Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi, der vor den Huthis geflohen ist. Text: dpa