Der russische Präsident Wladimir Putin legt den Bau einer der wichtigsten Gas-Lebensadern für Europa auf Eis. Doch in Brüssel schlägt das weder Wellen noch gibt man sich beunruhigt. Am Tag nach der überraschenden Ankündigung des Kreml-Chefs, Moskau werde die Vorarbeiten an der 2380 Kilometer langen Pipeline vom Schwarzen Meer bis nach Italien „überdenken“, kündigte der für Energiefragen zuständige EU-Kommissar Maros Sefcovic ungerührt an, das ohnehin geplante Treffen mit den Mitgliedstaaten am 9. Dezember finde natürlich statt. Die Einlassungen aus Moskau seien nur ein „zusätzliche Element“ für die Tagesordnung.
Dabei hatten der russische Präsident und Gazprom-Chef Alexej Miller („Das Projekt ist aus. Das war’s.“) am Montagabend durchaus deutlich die Schuld für die Absage nach Brüssel und vor allem Bulgarien geschoben. Dort ruhen die Genehmigungsverfahren bereits seit Juni dieses Jahres. Und zwar, da hat Putin durchaus Recht – auf Druck der Europäischen Kommission und der Vereinigten Staaten. Dass die Pipeline in der Ukraine-Krise zum Spielball der Interessen wurde, war abzusehen. Schließlich ging es bei den Entwürfen ja gerade darum, den wertvollen Rohstoff weiträumig um die Hoheitsgebiete Kiews herum zu den zahlungswilligen Europäern zu schaffen.
Tatsächlich braucht der russische Staatskonzern Gazprom nämlich dringend die Einnahmen aus dem Westen. Zwar gelang es in jüngster Zeit, große Deals mit China und jetzt mit der Türkei abzuschließen. Doch daran wird Moskau nur wenig verdienen, da man sich bei den Verhandlungen mit Peking und nun auch mit Ankara praktisch auf den Selbstkostenpreis verständigt hatte. Hinzu kommen drakonische Konventionalstrafen, die Moskau fürchten muss, wenn das Land sich aus dem South-Stream-Projekt zurückziehen sollte. Vor diesem Hintergrund gehen Experten der EU-Kommission davon aus, dass die Äußerungen Putins eher ein weiterer Versuch sein könnten, im Machtkampf mit den Europäern die Oberhand zu behalten. Erfolgversprechend dürfte das nicht sein, denn der Kreml muss ebenso wie Gazprom fürchten, dass ein derartiger Rückschlag die Europäer noch mehr motivieren könnte, Russland als Lieferant wichtiger Brennstoffe den Rücken zu kehren.