Mit der Androhung eines Kampfeinsatzes auf der Krim hat Russland die schwerste Krise im Verhältnis zum Westen seit Ende des Kalten Krieges heraufbeschworen. US-Präsident Barack Obama drohte, Kremlchef Wladimir Putin werde eine Invasion in der Ukraine „teuer zu stehen kommen“. Der G-8-Gipfel im Juni im russischen Sotschi steht auf der Kippe. US-Außenminister John Kerry warnte, Russland könne sogar aus dem Kreis der G-8-Industriestaaten ausgeschlossen werden. Außenminister Frank-Walter Steinmeier warnte vor einer neuen Spaltung Europas.
Russisch sprechende Milizen übernahmen die Kontrolle über die zur Ukraine gehörende Schwarzmeer-Halbinsel. Das Parlament in Moskau hatte am Samstag einstimmig den Weg für einen Militäreinsatz in der Ukraine bereitet – zum Schutz der russischen Bevölkerung. Putin habe nun alle Vollmachten, um einzuschreiten, teilte der Kreml mit. Die neue, prowestliche Regierung in der Ukraine wertete das Vorgehen Russlands als „militärische Aggression“ und warf dem Kreml vor, die Krim besetzen zu wollen.
Die Führung in Kiew forderte die Nato und den Westen insgesamt auf, alle Mechanismen zu prüfen, um die territoriale Einheit des Landes zu schützen. Als Reaktion auf den russischen Parlamentsbeschluss versetzte die Ukraine ihre Streitkräfte in volle Kampfbereitschaft. Interimspräsident Alexander Turtschinow erklärte, Russland habe für einen „Akt der Aggression“ keine Grundlage: „Alle Erklärungen über Gefahren für russische Staatsbürger oder russischsprachige Ukrainer sind erdacht.“
Keine Generalmobilmachung
Es handelt sich bei der Anordnung nicht um eine Generalmobilmachung. Das ukrainische Parlament, die Werchowna Rada, tagte am Sonntag hinter verschlossenen Türen. Ministerpräsident Arseni Jazenjuk sagte, sein Land werde einen russischen Militäreinsatz nicht hinnehmen. „Eine Intervention wird der Beginn eines Krieges und das Ende aller Beziehungen sein“, sagte er in Kiew.
Das russische Vorgehen auf der Krim sorgte international für große Besorgnis. Die USA, Kanada, Großbritannien und Frankreich setzten ihre Teilnahme an Konferenzen zur Vorbereitung des G-8-Treffens im russischen Sotschi aus. In Brüssel kam der Nato-Rat für eine außerordentliche Sitzung über die Lage in der Ukraine zusammen. Die russische Militäraktion bedroht nach Ansicht von Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen „den Frieden und die Sicherheit in Europa“.
Präsident Putin will nach Kremlangaben seinen Befehl zum Militäreinsatz von der weiteren Lage auf der Krim abhängig machen. Dort blieb die Lage am Sonntag angespannt, aber ruhig. Die russischen Streitkräfte brachten nach ukrainischen Angaben mehrere Tausend Soldaten auf die Krim, wo Moskau seit über 200 Jahren die Schwarzmeerflotte in Sewastopol unterhält. Das Abkommen über die Schwarzmeerflotte erlaubt Russland die Stationierung von Marineeinheiten auf der Krim.
Proteste gegen Kiew
Die Krim-Regierung hatte Russland um Schutz vor gewaltbereiten ukrainischen Nationalisten und Extremisten angerufen. In mehreren Städten der Schwarzmeer-Halbinsel demonstrierten Menschen gegen die Regierung in Kiew. Auch außerhalb der Krim gab es Proteste: So wurden in Charkow bei Zusammenstößen nach russischen Medienberichten mehr als 100 Menschen verletzt.
Die Krim soll nach Vorstellung der neuen prorussischen Führung künftig als eigener Staat existieren. Bei einem für den 30. März geplanten Referendum sollen die mehrheitlich russischsprachigen Krim-Bewohner demnach über eine Abspaltung von der Ukraine entscheiden.
Sprachenstreit in der Ukraine
Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor mehr als 20 Jahren legt Russland großen Wert auf den Schutz seiner Minderheiten im Ausland. Streit gibt es häufig über Sprachengesetze. Die Kritik bezieht sich auf den Umgang mit der russischen Minderheit und richtet sich auch gegen die EU, die nach Meinung Moskauer Politiker zu wenig gegen Russophobie unternimmt. Moskau feierte es 2012 als Erfolg, dass der „Bruderstaat“ Ukraine ungeachtet der Proteste von Nationalisten per Gesetz Russisch als regionale Amtssprache zuließ. Entsprechend groß war jetzt die Empörung in Moskau, dass die neue Parlamentsmehrheit in Kiew als eines der ersten Projekte das Sprachengesetz kippte. Der ukrainische Interimspräsident Alexander Turtschinow will die Aufhebung des Gesetzes nicht unterschreiben. Doch Moskau sieht weiter die Gefahr einer russlandfeindlichen Politik in Kiew. Es wirft den neuen ukrainischen Machthabern vor, auf Druck von Extremisten und Nationalisten zu handeln. Dabei ist Russisch in den Medien und im Alltagsleben die dominante Sprache in weiten Teilen der Ukraine. Text: dpa