Der Fall Trayvon Martin lässt die Vereinigten Staaten nicht los. Am Sonntag und Montag demonstrierten landesweit Tausende gegen das Urteil, mit dem eine sechsköpfige Jury den Todesschützen George Zimmerman am Samstag vom Vorwurf des Mordes oder Totschlags freigesprochen hatte.
Bürgerrechtler protestierten gegen die Juryentscheidung, die viele für das Ergebnis von latentem Rassismus halten. Präsident Barack Obama rief seine Landsleute dazu auf, Ruhe zu bewahren. Trotzdem kam es vereinzelt auch zu Zusammenstößen mit der Polizei. Seit der Urteilsverkündung am Samstagabend ist es landesweit zu Protesten gekommen. In Oakland wurden Mülleimer angezündet, Fenster eingeworfen und Polizeiautos beschädigt. Am Sonntag stieg die Spannung in Los Angeles, als Beamte mit Steinen beworfen wurden. In Manhattan legte eine spontane Kundgebung kurzzeitig mehrere Straßen lahm. Bis Montag hatten sich auch in Städten wie Atlanta, Baltimore, Chicago, Denver, Detroit oder Washington zornige Menschen versammelt. Unter den Demonstranten sind alle Hautfarben vertreten.
„Wir sind ein Land mit Gesetzen, und eine Jury
hat gesprochen.“
Zimmerman hatte den 17-jährigen Trayvon Martin 2012 als Nachbarschaftswächter in einer Wohngegend entdeckt und der Polizei als „verdächtig“ gemeldet. Zwischen den beiden war es zu einer Auseinandersetzung gekommen, in deren Verlauf der unbewaffnete Martin erschossen wurde. Die Jury in Florida konnte nicht ausschließen, dass Zimmerman Martin in Notwehr getötet hat; sie entschied im Zweifel für den Angeklagten. Martin war schwarz, Zimmerman ist als Latino registriert.
Präsident Obama wandte sich an seine Landsleute. „Ich weiß, dass dieser Fall starke Gefühle hervorgerufen hat“, heißt es in der Botschaft. „Und ich weiß, dass diese Gefühle in der Folge des Urteils möglicherweise noch stärker werden. Aber wir sind ein Land mit Gesetzen, und eine Jury hat gesprochen.“
Obama rief dazu auf, darüber nachzudenken, was man gemeinsam tun könne, um die Waffengewalt in den USA zu senken. Abgeordnete der Opposition warfen ihm vor, selbst dazu beigetragen zu haben, dass der Rassenaspekt die Diskussion so dominiert. Schwarze Bürgerrechtler reagierten entsetzt auf den Freispruch. Das Urteil sei „ein Schlag ins Gesicht all jener, die an Gerechtigkeit in diesem Land glauben“, sagte Al Sharpton. Jesse Jackson rief dazu auf, die Demonstrationen friedlich fortzuführen.
Auch die Stimmen, die mit dem Urteil zufrieden sind, gehen aber über Rassengrenzen hinweg. Der Schwarze Tony Johnson kritisierte im Fernsehsender CNN „Ausbrüche von Leuten, die die Fakten in dem Fall nicht kennen, aber trotzdem Geschrei über ein Unrecht erheben.“ Es sei kein Verbrechen, jemandem zu folgen, sagte Johnson. Die Verteidigung hatte im gesamten Prozess darauf beharrt, dass Zimmerman Martin nicht gestellt habe, sondern von diesem überrumpelt wurde. Der tatsächliche Ablauf konnte nicht geklärt werden.
Die Schwarzen-Organisation NAACP startete auf ihrer Webseite eine Petition, mit der Generalbundesanwalt Eric Holder dazu aufgerufen wird, ein neues Verfahren auf Bundesebene einzuleiten. Der Server brach wegen des Andrangs zeitweise zusammen.
Das Justizministerium in Washington teilte mit, es prüfe schon seit längerem, ob die Beweislage ein solches Verfahren rechtfertigt. Eine Möglichkeit dazu böte sich, wenn in Florida gravierende Verfahrensmängel festgestellt würden. Alternativ könnten Bundesbehörden Anklage wegen der Verletzung von Bürgerrechten erheben. Hier stünden sie aber vor ähnlichen Problemen wie schon die Ankläger in Florida: Sie müssten nachweisen, dass Zimmerman nicht in Selbstverteidigung, sondern aus rassistischen Motiven gehandelt hat. Zimmermans Verteidiger betrachten dagegen ihren Mandanten als Opfer einer Rassismuskampagne: „Wenn irgendjemand eine Beschwerde über die Verletzung von Bürgerrechten vorbringen kann“, sagte eine seiner Anwältinnen, „dann ist es George Zimmerman.“ Am heutigen Dienstag will Holder bei der NAACP-Jahresversammlung in Orlando sprechen. Er selbst ist der erste Schwarze an der Spitze des Justizministeriums.
Selbstverteidigung
Das Notwehrrecht im US-Bundesstaat Florida ist durch den Fall Trayvon Martin in die Kritik geraten. „Stand Your Ground“ heißt das Gesetz, zu Deutsch etwa „Weiche nicht zurück“. Danach darf sich ein Mensch mit allen Mitteln wehren, wenn er sich bedroht fühlt, und muss nicht versuchen, sich der Situation zu entziehen, auch wenn es vernünftiger wäre. Obwohl sich der Schütze George Zimmerman nicht auf die Regelung berufen hatte, spielte sie nach Ansicht vieler Experten beim Freispruch eine große Rolle. „Das Gesetz bürdet der Staatsanwaltschaft die Beweislast für Notwehr auf. Sie muss nachweisen, dass der Angeklagte nicht in Notwehr gehandelt hat“, sagt der Jurist Joshua Dressler.