Der Minister gibt sich kleinlaut und zerknirscht. Reumütig streut er sich Asche aufs Haupt und tritt den geordneten Rückzug an, wenigstens ein wenig. Thomas de Maiziere weiß, dass seine Aussage nicht länger zu halten ist, die er am 5. Juni zuerst vor dem Verteidigungsausschuss und dann vor der Öffentlichkeit gemacht hat: Dass er vor dem Ausstieg seines Hauses aus dem „Euro-Hawk“-Projekt am 13. Mai 2013 nur ein einziges Mal – am 1. März 2012 – bei der Vorbereitung für eine Rüstungsklausur von seinem Staatssekretär Stéphane Beemelmans über die Zulassungsprobleme der unbemannten Aufklärungsdrohne informiert worden war.
Längst sind in der Öffentlichkeit etliche Dokumente aufgetaucht, die das Gegenteil beweisen und belegen, dass de Maiziere mehrfach von den Problemen in Kenntnis gesetzt wurde, einige Dokumente tragen sogar die Paraphe des Ministers mit dem für Ressortchefs üblichen grünen Stift.
Ja, räumt er am Mittwoch bei seinem mit Spannung erwarteten Auftritt vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags ein, er habe am 5. Juni „unklare Angaben“ zu seiner Einbindung in das Rüstungsprojekt gemacht. „Im Rückblick sage ich heute: Ich bedauere, dass ich mich am 5. Juni nicht klarer ausgedrückt habe.“ Den Eindruck, nie etwas gewusst zu haben, „wollte ich ganz sicher nicht hervorrufen“.
Ausdrücklich legt er allerdings Wert auf die Feststellung, dass die Probleme bei der Zulassung für den deutschen und europäischen Luftraum stets als lösbar dargestellt wurden. „Über lösbare Probleme war ich durchaus unterrichtet.“ Und weiter: „Lösbar bedeutet für mich: Das Projekt kann im Kostenrahmen realisiert werden, Varianten werden untersucht, die zuständigen Stellen sind am Ball.“
Dies änderte sich erst mit der „Entscheidungsvorlage“, die ihm am 13. Mai 2013 vorgelegt wurde. An diesem Tag sei klar geworden, dass die Probleme mit Blick auf den gegebenen Kostenrahmen nicht mehr lösbar seien.
Diese Aussage löst im Ausschuss einen heftigen Wortwechsel aus. Die Oppositionsparteien sind empört. Der Obmann der SPD, Rainer Arnold, attackiert de Maiziere scharf und bezichtigt ihn der Lüge. „Das macht mich fassungslos, wie Sie heute versucht haben, Ihre Lüge mit einer neuen Lüge zurückzuweisen“, sagt er. „Sie haben die Gelegenheit, ein Missverständnis zu korrigieren, überhaupt nicht genutzt.“
De Maiziere wiederum weist den Vorwurf der Lüge als Unterstellung zurück. Und auch Arnolds Frage, ob er Bundeskanzlerin Angela Merkel seinen Rücktritt angeboten habe, will er nicht beantworten. „Was ich mit der Kanzlerin bespreche, das trage ich hier nicht vor dem Ausschuss vor.“ Jan von Aken von der Linkspartei kritisiert, de Maiziere habe sich als „Mann ohne Schuld und Verantwortung“ präsentiert. „Selbstkritik scheint ihm völlig fremd zu sein.“ Auch er wirft ihm vor, gelogen zu haben. „Wieso darf so einer eigentlich Minister bleiben?“
Ausführlich geht der Verteidigungsminister in seiner knapp 50-minütigen Eingangserklärung auf die Vorgeschichte des „Euro Hawk“ ein. Als er im März 2011 sein Amt angetreten habe, seien bereits 565 Millionen Euro für die Drohne ausgegeben worden oder gebunden gewesen – 85 Prozent der Gesamtsumme. Durch den Ausstieg sei kein zusätzlicher Schaden entstanden, sondern Schaden verhindert worden. Nicht zuletzt seien die Mittel für das von der EADS-Tochter Cassidian entwickelte europäische Signalaufklärungssystem „Isis“ sinnvoll investiert, da dieses System unabhängig von der Drohne „Euro Hawk“ genutzt werden könne. Der technische Erkenntnisgewinn des gesamten Projekts sei „hoch“.
Seinen Vorgängern im Amt wirft er vor, die Probleme „unterschätzt und von Beginn an nicht entschlossen genug bekämpft“ zu haben. Die Zulassungsprobleme seien von Anfang an bekannt gewesen. „Hier liegt der Geburtsfehler des Euro Hawk.“ Aber, so de Maiziere: „Man wollte den großen Wurf wagen.“ Dies sei mutig, aber er sagt auch: „Es war ein wirtschaftliches Wagnis und ein technologisches Neuland, zudem gab es keine Erfahrungen.“
Nach der rund fünfstündigen Befragung sehen sich die Koalitions- wie die Oppositionsvertreter in ihrer Auffassung bestätigt. Union und FDP stellen sich demonstrativ hinter den Minister, er habe in der Sache richtig gehandelt und sei seiner Verantwortung gerecht geworden. So nennt CDU-Obmann Markus Grübel die Kritik der Opposition völlig unverständlich, sein FDP-Kollege Joachim Spatz sieht keinen Grund, an der Glaubwürdigkeit des Ministers zu zweifeln. Dagegen fordern SPD, Grüne und Linke seinen Rücktritt. De Maiziere habe sich „noch tiefer in sein Gewirr verstrickt“, sagt SPD-Obmann Rainer Arnold, sein Grünen-Kollege Omid Nouripour höhnt, der Minister sei ein „armer Mann, der im Amt einfach nur überfordert war“.